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Judasfall eines Drachen

Teil 13/4.1 Schicksalsgeschichten
von

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Chapter 21 - 25

Chapter 21
 

Nun wollte er wissen, weshalb Yugi sich so schnell aus dem Staub gemacht hatte. Wo er sich doch gerade ans Chatten gewöhnte. Er klappte den Laptop zu und verließ das Büro.

In der Gaststätte saßen noch ein paar letzte Gäste. Der Stammtisch, der jeden Sonntag stattfand und immer dieselben acht älteren Herren umfasste. Und hinten am Fenster ein junges Pärchen, welches beim Dessert Händchen hielt. Und Hannes, welcher seine Theke für den morgigen Tag vorbereitete. Er winkte Seto mit einem kurzen Salut und der nickte ihm stumm zu, bevor er die Treppe in großen Schritten erklomm. In seinem Zimmer brannte erwartungsgemäß das Licht, Yugi ließ es immer noch jede Nacht für ihn an. Doch der lag nicht im Bett. Er hatte wohl dort gelegen, denn sein Laptop lag am Fußende und seine Seite des Bettes war benutzt. Doch er selbst war nicht da.

Seto lauschte und hörte Flüstern aus dem Kinderzimmer. Aus Tatos Zimmer. Er drückte leise die angelehnte Tür auf und sah, dass Yugi am Bettchen saß, auf dem Boden mit Tato auf einer Höhe und dem Kleinen den Kopf streichelte. Nebenbei sprach er leise Worte und küsste seinen Sohn.

„Alles in Ordnung?“ fragte Seto leise. Ganz leise.

Yugi nickte und stand möglichst lautlos auf.

„Papa?“ hörte man leise unter der dicken Daunendecke.

„Ich dachte, du schläfst schon wieder.“ Also setzte er sich zurück auf den Boden und streckte die Hand unter die Decke. „Mach die Augen zu, Süßer. Ich bin ja hier.“

Auch Seto schlich sich dazu, setzte sich zu Tato aufs Bett und legte ihm die Hand auf die Stirn. „Er ist ganz warm.“

„Tato hatte einen bösen Traum.“

„Won Blom“ ergänzte der mit müder Stimme.

„Von Blumen“ bestätigte Yugi, während Seto seinem Mini ebenfalls einen Kuss auf die roten Wangen gab.

„Schlaf wieder ein, Tato. Es ist schon Nacht und die Blumen schlafen jetzt auch alle. Papa und ich sind ja da und beschützen dich.“

„Un Nene?“

„Und Nini beschützen wir auch. Euch beide. Schlaf wieder ein, Knutschi. Papa und ich sind immer hier. Wir sind immer bei dir. Auch wenn du schläfst. Alles ist gut.“

„Mama …“

„Schlafe wieder ein, Großer.“

„Gehd nich …“

„Soll ich dir ein Schlaflied singen?“

„Hmmm.“ Das klang nach Zustimmung.

Also streichelte Seto ihm sanft durchs Haar und sang seinem kleinen Alpträumer ein zärtliches Liedchen.

„Schlafe mein Prinzchen, es ruhn Schäfchen und Vögelchen nun.

Garten und Wiese verstummt, auch nicht ein Bienchen mehr summt.

Luna mit silbernem Schein gucket zum Fenster hinein.

Schlafe beim silbernen Schein.

Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein.

Schlaf ein, schlaf ein.

Wer ist beglückter als du? Nichts als Vergnügen und Ruh!

Spielwerk und Zucker vollauf, und noch Karossen im Kauf!

Alles besorgt und bereit, dass nur mein Prinzchen nicht schreit.

Was wird da künftig erst sein?

Schlafe mein Prinzchen, schlaf ein.

Schlaf ein, schlaf ein.“

„Mama …“

„Schläfst du denn immer noch nicht?“ seufzte er und küsste seinen Kleinen. Das musste ja ein schlimmer Blumen-Traum gewesen sein, dass er die Augen nicht zumachen konnte. Normalerweise überwachte Tato nicht mal die erste Strophe von Mamas Gesang. „Was ist denn, Tatolino?“

„Nommer sing“ blubberte er und kuschelte seine Stirn gegen Yugis Hand. „Mein Tado-Schlafenlied.“

„Tato-Schlafenlied?“

„Das hat Tato ihm vorgesungen. Er ist ganz vernarrt darin“ lächelte Yugi und legte seinen Kopf zu ihm aufs Kissen. „Soll ich mal versuchen, dir vorzusingen?“

„Hmmmm.“

„Na gut.“ Yugi und singen. Na, das konnte ja was werden. Aber woher sollte Seto auch wissen, welches das Tato-Schlaflied war, wenn drei Monate fort gewesen war? Obwohl der Text so typisch für ihn war. Für den großen als auch den kleinen.

„Als ich ein kleiner Bube war,

war ich ein kleiner Lump.

Zigarren raucht' ich heimlich schon,

trank auch schon Bier auf Pump.

Zur Hose hing das Hemd heraus,

die Stiefel lief ich krumm.

Und statt zur Schule hinzugehn,

strich ich im Wald herum.

Wie habe ich's doch seit jener Zeit

So herrlich weit gebracht!

Die Zeit hat aus dem kleinen Lump

'nen großen Lump gemacht.“

„Typisch Tato“ seufzte Seto. Der brachte sich selbst auch nur Unsinn bei. Er musste sich ja schließlich nicht selbst erziehen. Dieser Lumpenbube.

„Aber er schläft jetzt wieder“ flüsterte Yugi und küsste seinen Kleinen, bevor er vorsichtig die Hand zurückzog. „Erst hat er nur im Schlaf geredet und ich dachte, er nickt wieder ein. Aber als er zu weinen anfing, musste ich doch gucken gehen.“

„Und er hat von Blumen geträumt?“

„Müssen wohl Monsterblumen gewesen sein. Er hat eine lebhafte Fantasie.“ Er nahm Setos Hand und hielt sie an seine eigene Stirn. „Schön, dass du immer so kalte Pfoten hast, Engelchen.“

„Du fühlst dich auch ganz warm an.“

„Ich habe mir Sorgen gemacht und wohl mit Tato mitgefiebert.“ Er legte sich die Hand in den Nacken und atmete entspannt durch. Setos Hände waren besser als jedes Kühlpad. „Das war sein erster Alptraum. Nur ein Traum, aber er sah wirklich verschreckt aus.“

„Meinst du, dass das ein spezieller Traum war?“

„Ich wollte ihn nicht weiter fragen. Und selbst wenn, dann werden wir aus seinen Erklärungen wohl nicht schlau. Aus deinen nächtlichen Visionen bin ich auch nie schlau geworden.“

„Dann meinst du, es könnte eine Vision gewesen sein?“

„Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Ich weiß nur, dass er geweint hat und wirklich weglaufen wollte. Aber er hat nur die Decke runtergestrampelt.“

„Warte.“ Er legte seine andere Hand an Tatos schlafendes Köpfchen. Er schloss seine Augen halb und horchte tief in ihn hinein. Tato würde das gar nicht mitbekommen, aber wenn es eine Vision gewesen war, würde Seto das erkennen.

„Und?“ fragte Yugi leise und hob den Kopf. „Eine Vision?“

„Ich weiß nicht genau“ antwortete er mit abwesender Stimme und leerem Blick. „Ich sehe eine Wiese. Eine grüne Wiese und es stehen rosa Blumen dort. Sie sehen aus wie … Orchideen und … Hyazinthen. Fuchsien. Viele Gräser und auch sie tragen rosa Blüten. Es sieht friedlich aus.“

„Und warum hatte Tato dann solche Angst?“

„Ich kann es nicht sagen.“ Er stoppte, spürte, sah, fühlte, deutete. Seine blauen Augen verloren sich in der Weite eines immateriellen Raumes. Dann erst konnte er Yugi mehr sagen. „Es weht kein Wind. Alles steht still. Das könnte ihm Angst gemacht haben.“

„Sieh in den Himmel. Was ist dort?“ Yugi beobachtete Setos Gesicht und bemerkte dort ein Zucken. Nur kurz, doch es war eine ungewöhnlich starke Reaktion. „Liebling, was ist dort oben?“

„Der Himmel ist schwarz. Nein, nicht schwarz … silbergrau. Er glänzt blau, doch er scheint unnatürlich dunkel … nein, nicht dunkel … es ist das Licht. Es scheint keine Sonne. Es ist hell, aber es gibt keine Lichtquelle. Wie als wäre man im Wasser. Das Licht kommt von überall her und der Himmel wirkt drückend. Mir wird … schwindelig.“

„Dann höre lieber auf.“

„Der Himmel nimmt die Farbe an, die ich ihm andichte. Denke ich an schwarz, ist er schwarz. Denke ich an blau, ist er blau. Denke ich an rosa, ist er rosa. Aber es gibt keine Sonne. Rundherum sind Berge. Nein, nicht rundherum. Nur auf einer Seite. Ich will in Richtung der Berge gehen, doch sie weichen und dann ist dort wieder diese windstille Wiese mit rosa Blumen. Es ist schön, aber … alles wirkt beengend. Als würde mich diese Wiese gefangen halten.“

„Das hat Tato geträumt? Passiert nichts weiter?“

„Nein, es passiert nichts. Es ist nur diese Wiese und die Blumen. Es ist als wären sie lebendig, als würden sie mich ansehen. Augen. Überall Augen. Aber es sind doch nur Blumen. Die Blumen beobachten mich …“ Er zog seine Hand zurück und rieb sie als hätten Fesseln die Finger zusammengequetscht. Er blickte den schlafenden Tato an, doch den Traum konnte er nicht deuten. „Yugi, das war eine Vision. Tato kann sich so etwas nicht ausdenken. Das wurde ihm geschickt.“

„Geschickt? Wer sollte ihm so eine Vision schicken? Er ist noch fast ein Baby.“

„Vielleicht sollten wir diese Vision sehen. Seit du mein Herz hast, kann mir kein Gott mehr eine Warnung oder eine Drohung schicken. Vielleicht benutzen sie Tato, um uns etwas mitzuteilen.“

„Amuns Götter würden Tato nicht benutzen, um mit uns in Kontakt zu treten“ bemerkte Yugi. Selbst wenn sie es täten, würden sie ihn nicht ängstigen. Amuns Götter waren zartfühlend und schickten kleinen Kindern keine solchen Träume.

„Dann war es einer von den anderen Göttern“ ergänzte Seto und sah Yugi ernst an. „Hältst du es für möglich, dass das an uns gerichtet war?“

„Der einzige von den dunklen Göttern, der Visionen leiten kann, ist Chons“ antwortete Yugi besorgt. „Seth hat doch seinen Deal. Warum sollte er Tato solche Bilder schicken? Er würde sich dafür jemanden aussuchen, der sich besser artikulieren kann. Abgesehen davon, würde Seth seine Sachen selbst regeln.“

„Noch eine Sorge mehr auf meiner Liste“ seufzte er und lüftete seinen Kragen. „Ich sollte heute Nacht vielleicht lieber bei Tato bleiben. Ich traue der Sache nicht.“

„Nein, wir machen das anders. Tato kommt in unser Bett und Nini auch.“

„Meinst du, dass Ninis Bauchschmerzen auch so einen Auslöser hatten?“

„Nein“ lachte Yugi und schüttelte wissend den Kopf. „Da war definitiv die große Flasche Brause Schuld dran. Na komm, ich nehme Tato und du nimmst Nini.“

„Das … das Gefühl kenne ich …“

„Welches Gefühl?“ Seto machte ein komisches Gesicht. Er wurde ganz blass und sah Yugi mit geweiteten, glasigen Augen an. Doch als er auch seine Schultern hochzog, wusste Yugi, welches Gefühl er meinte. Er bekam Angst. „Seto, ganz ruhig. Es war doch nur ein Traum.“

„Nein, nicht das. Das ist Sethan.“

„Sethan?“

„Sethan hat … er fürchtet sich!“ Sofort sprang er auf und rannte hinaus. Er hatte noch niemals eines von Sethans Gefühlen aufgeschnappt. Und noch niemals eines, welches so intensiv war, dass er es auf diese Entfernung spürte. Und dann auch noch dieses, welches ihm so innig vertraut war.

Yugi hörte es draußen poltern, doch ihm nachzulaufen, würde nichts bringen. Er nahm Tato aus dem Bett und brachte ihn zu seiner Schwester. Wenn Sethans Gefühl mit Tatos Traum zusammenhing, war es besser, zusammen zu bleiben.
 

Seto indessen kam an Sethans geöffneter Tür an. Yamis Raum war leer, der war noch mit Finn unterwegs und würde frühestens in den Morgenstunden zurücksein.

„Komm rein.“ Seto sah den großen Tato neben dem leeren Bett stehen und ihn heranwinken. Seiner leichten Bekleidung, sprich nur Unterwäsche, zu urteilen, war auch er geweckt.

„Du hast es auch gespürt, oder?“

„Ich habe Sethan noch nie so intensiv gespürt“ antwortete er mit leiser Stimme, ging zu ihm und legte Seto die Hand auf die Schulter, sprach ihm vertraulich zu. „Aber wir sollten jetzt noch nicht stören.“

„Warum? Was ist los? Ich rieche Marik.“

„Marik ist bei ihm. Bis eben hat Sethan ihn angeschrien, aber jetzt ist Ruhe. Komm.“

Auf nackten Sohlen traten die beiden Drachen zur Tür und horchten herein. Doch als auch nach einer vollen Minute keine Stimme herausdrang, schauten sie, ob etwas zu tun war. Doch auch der Blick nach innen zeigte keine allzu beängstigende Situation.

Sethan saß in seinem grauen Morgenmantel auf dem Fenstersims, hatte der Tür und somit auch Marik den Rücken zugewandt. Marik stand noch immer in seiner Tageskleidung nahe der Tür und sah Sethan mit bewegungslosen Augen an.

„Können wir helfen?“ fragte Seto vorsichtig.

„Ja.“ Sethan klang verärgert. Sehr verärgert. „Schafft ihn mir aus den Augen.“

„Ich weiß einfach nicht, wo Euer Problem liegt“ widersprach Marik. Er klang weder unterwürfig, noch respektlos. Er hielt nur offensichtlich diese Ablehnung nicht aus. Jedenfalls nicht ohne zu wissen, woher die kam. Er breitete die Arme aus und forderte seine Antwort. „Ich habe mich bei Euch entschuldigt. Was soll ich denn noch machen?“

„Einfach verschwinden. Ist das so schwer zu verstehen?“

„Ja, ist es!“ Er ballte die Fäuste. Marik wurde selten wütend. Das war eher sein Alterego, dem solche Gefühle lagen. Doch auch der treueste Diener ließ sich nicht ewig alles gefallen. „Wir haben kaum zwei Sätze miteinander gewechselt und Ihr bringt mir nichts als Ablehnung entgegen. Wenn Ihr mich schon mit Eurer Verachtung demütigt, dann will ich wenigstens den Grund wissen. Ich denke, das zu fordern, steht mir zu.“

„NICHTS STEHT DIR ZU! GAR NICHTS! HÖRST DU?!“ Er sprang auf, wickelte den lockeren Morgenmantel eng um sich und stierte ihn mit funkelnden Augen an, dass Tato und Seto zusammenzuckten. Marik jedoch schien das nicht zu bemerken. „DU HAST KEIN RECHT DAZU, IRGENDETWAS VON MIR ZU FORDERN! GEH ZURÜCK IN DEIN GRAB, WO DU HINGEHÖRST!“

„Der Pharao hat mich gerufen. Also gehöre ich im Augenblick hierher“ entgegnete Marik mit wesentlich ruhigerer Stimme. Er wollte sich trotz seines Ärgers nicht zu einem Wutausbruch hinreißen lassen. Das war nicht sein Stil. „Und ich denke, es ist nicht zu viel verlangt, wenn auch Ihr mit mir zusammenarbeitet, Sethan. Ich bin hier, um einer Freundin zu helfen und Eure Hilfe wäre dabei ebenso zu erwarten.“

„Du kapierst es nicht, oder?“ fauchte er und krallte seine Finger tief in den dünnen Stoff. Es fehlte nicht mehr viel und er würde irgendetwas zertrümmern. „Wenn ich dir sage, du sollst zurück unter die Erde dann hast du das zu tun.“

„Bei allem Respekt, aber Ihr habt mir nichts zu befehlen.“

„DOCH! DAS HABE ICH!“

„Nein. Die Pharaonen und ihre Hohepriester sind meine Herren. Niemand anderes.“

„ICH BIN HÖHER GEBOREN ALS DIE PHARAONEN! IHR WORT ZÄHLT GAR NICHTS GEGEN MEINES!!! V E R S C H W I N D E E N D L I C H !!!“

Völlig überraschend zog Marik sein T-Shirt aus. Er zog es einfach über seinen platinblonden Kopf und drehte Sethan seinen tätowierten Rücken hin. „Da steht es“ zeigte er mit der Hand auf seine Schulter. „Allein der Pharao gebietet über die Familie. Er ist der Herr des Grabes und der Kräfte darin, der Geister und des Wissens, sowie über die Wächter darselbst. Ich, Marik Ishtar, bin dem Pharao durch Geburt zur Treue bis in den Tod verpflichtet. Ich weiß genau, was in meine Haut gebrannt steht und dort steht nichts von einem höheren Wesen als dem Pharao. Und selbst wenn es eines geben sollte, bin ich noch immer dem Pharao verpflichtet.“ Er drehte sich herum und warf ihm mit Nachdruck sein Shirt vor die Füße. „Ich weiß doch, was da steht und ich weiß auch wie man es deutet. Doch Ihr anscheinend nicht. Dass ich hier vor Euch krieche, tue ich allein aus Respekt und Ehrgefühl. Doch Ihr tretet meine Loyalität mit Füßen. Und ich bin der Meinung, dass ich das nicht verdiene!“

„V E R S C H W I N D E !!!“ Sethan war außer sich. Er riss mit einem Schrei den Vorhang vom Fenster und zertrümmerte damit die Nachttischlampe. Er konnte kaum an sich halten, so wütend war er.

Doch nur Seto und Tato spürten, dass es keine Wut war, die ihn befiel. Es war Angst. Unglaublich große, lähmende, grauenvolle Angst.

„Marik“ bat Tato und trat mit großer Vorsicht zwischen die beiden. „Vielleicht solltest du jetzt lieber gehen. Bitte.“

„Findest du nicht, dass mir eine Antwort zusteht?“ fragte er ihn nachdrücklich. „Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen. Und wenn ich gemaßregelt werde, dann will ich zumindest wissen wofür.“

„FÜR DEINE EXISTENZ!!!“ Sethan stapfte zu ihm, stieß Tato aus dem Weg und starrte Marik direkt in die Augen. Doch seine Augen waren feucht und sein Gesicht verzogen vor Emotionen, die Marik und jeder andere schnell als Wut deutete. Dabei fürchtete er sich zu Tode. „DU HÄTTEST NIEMALS GEBOREN WERDEN SOLLEN! DEINE EXISTENZ IST EINE SCHANDE FÜR …“

Doch da packte Marik ihn an den Händen und drückte ihn so schnell an die Wand, dass keiner der beiden Priester reagieren konnte. „Was nimmst du dir heraus, du verzogenes Balg?“

„Malik, lass ihn los.“ Tato legte ihm die Hand auf den nackten Rücken, während Seto mit einer deutlich kalten Warnung seine Handgelenke nahm.

„Jetzt hör mal zu, du Miststück“ zischte er dem in die Enge Getriebenen mitten ins Gesicht. Sethan hatte nicht die Körperkraft, um sich einem Paket wie Malik zu stellen. Und der ging mit niemandem zimperlich um. „Es ist mir egal, ob du dich König der Götter nennst. So etwas muss er sich nicht von dir sagen lassen. Wenn hier eine Existenz schändlich ist, dann deine. Du bist nur ein keifendes, verzogenes Balg!“

„Malik, es reicht jetzt!“ fuhr Tato nun härter dazwischen. „Lass ihn los oder wir trennen euch.“ Und das konnte sehr schmerzhaft werden. Denn gegen einen Drachen wäre wiederum Malik unterlegen.

Nur der war noch nicht fertig mit dem, was er sagen wollte. „Wenn du dich für so edel und hochgeboren hältst, dann benimm dich auch so. Auf seine Diener zu spucken, ist schändlich und alles andere als …“

„MALIK! LOSLASSEN! LETZTE WARNUNG!“

„Wenn ich noch ein Mal mitbekomme, wie du Marik demütigst“ warnte er Sethan, der ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte. „Dann sorge ich dafür, dass du niemals mehr dein Schandmaul gegen irgendwen aufreißt. Haben wir uns verstanden, du Kakerlake?“

„Malik …“ Doch Sethans Wut oder Angst war verschwunden. Tränen rannen über sein Gesicht und seine Züge formten schiere Verzweiflung. „Halte ihn von mir fern. Ich bitte dich. Halte ihn fern. Bitte. Beschütze uns und halte ihn von mir fern.“

„Malik. Lass ihn jetzt los.“ Tato griff mit fester Hand in seinen Nacken und beugte den kräftigen Yamikörper. „Lass ihn los. Sofort. Ich tue dir weh, ich schwör’s dir, Kumpel.“

Endlich stieß der dann Sethan weg und brachte sich selbst in ausreichenden Abstand zu ihm und den beiden Priestern. Doch er blickte das verflennte Häufchen eines Gottkönigs an und wusste anscheinend auch nicht, was er davon nun halten sollte. Eben noch warf er mit Beleidigungen und Gegenständen um sich und dann bettelte er um Hilfe. „Du bist doch nicht normal, Mann“ urteilte er und rieb sich den Nacken. Tato hatte dort ganz sicher mehr als nur einen einzelnen blauen Fleck hinterlassen. „Behandle ihn einfach seinem Stand entsprechend. Sonst kriegen wir Ärger.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging aus dem Raum.

Tato sammelte den zitternden Sethan vom Boden auf und hielt ihn in den den Armen. Er wollte ihm die Tränen fortwischen, doch Sethan wandte sein Gesicht ab und erledigte das alleine.

„Hat er dir wehgetan?“ sorgte Seto sich und kniete zu den beiden herab.

„Nein“ antwortete er mit versteckter Stimme und wischte sich mehr verzweifelt als tapfer übers Gesicht. „Alles gut. Ihr könnt wieder ins Bett gehen.“

„Sethan, warum hast du Angst vor Marik?“

„Ich habe keine Angst. Ich kann ihn nur einfach nicht leiden.“

„Sethan, wir sind Empathen“ wirkte auch Tato auf ihn ein und streichelte beruhigend seine Schultern. „Mama und ich, wir spüren, dass du dich fürchtest.“

„Ihr … spürt mich?“ Das verwunderte und schockierte ihn gleichermaßen. Er nahm die Hände herunter und sah erst seinen Großvater, dann seinen Onkel erschüttert an. „Niemand kann mich spüren. Niemand kann in meinen Geist eindringen.“

„Nicht wir dringen in deinen Geist ein, sondern du in unseren“ versuchte Seto ihm zu erklären. Er nahm seine Handgelenke und schloss sanft und kühlend seine Hände darum. Er war ganz heiß. „Sethan, nicht dein Geschrei hat uns geweckt, sondern dein Gefühl. Du hast dich so stark gefürchtet, dass es bis zu uns gestrahlt hat. Was lässt dich so fühlen?“

Doch er schwieg sich aus. Er antwortete einfach nicht. Nein, er blickte seitwärts zu Boden und blieb eine Erklärung schuldig.

„Okay, du willst nicht darüber sprechen“ seufzte Tato, schlang seine Arme um ihn und küsste seine Schläfe. „Marik ist niemand, vor dem du Angst haben musst. Er hat keine magischen Kräfte. Und sein Millenniumsglöckchen ist auch keine Bedrohung für dich. Und auch mit seinem großen Wissen kann er dir nicht schaden. Du hast keinen Grund, dich zu fürchten.“

Auch hierauf erwiderte er nichts. Er blieb einfach stumm. Nichts weiter.

„Sethan“ versuchte auch Seto es nochmals. „Wir lieben dich. Bitte rede doch mit uns.“

„Bitte erzählt niemandem, dass ich geweint habe.“ Das war seine einzige Sorge. Jedenfalls die einzige, welche er äußern wollte.

„Wir wissen, dass auch du nicht immer stark sein kannst“ bat Seto, hob sein Kinn und blickte ihm tief in die feuchten Augen. Sanft und behutsam legte er seine kühle Handfläche an die rotglühende Wange. „Auch wenn du dich für unser aller Schicksal hältst, selbst wenn du es wirklich bist, so musst du dennoch nicht alles allein tragen. Gib uns etwas von deiner Last ab. Wenn nicht um deinetwillen, dann wenigstens um unseretwillen. Lass uns dir helfen. Bitte.“

„Danke, Oma“ flüsterte er. Er legte seine fiebernde Wange in die kühle Hand und fing sich langsam wieder. Auch lehnte er sich zurück und ließ sich von seinem Onkel stützen.

„Du bist zu jung, um schon zu verzweifeln“ sprach Tato ihm mit gesenkter, sanfter Stimme zu. „Egal wozu du geboren wurdest, du bist noch immer ein Teil unserer Familie. Und zu sehen wie du dich quälst, ist auch für uns schmerzhaft. Und zu fühlen wie du dich uns entziehst, macht uns Sorgen und bereitet uns Trauer.“

„Ich will niemanden traurig machen. Besonders euch nicht.“ Er atmete langsam und tat dann seine Augen auf. „Deshalb fragt mich bitte nicht weiter. Sonst verliere ich die Fassung.“

„Vielleicht solltest du das ab und zu mal“ lächelte Seto ihm zärtlich zu. „Glaube mir, ich weiß wovon ich rede. Ich bin quasi Meister in peinlichen Gefühlsausbrüchen.“

„Muss in der Familie liegen“ scherzte auch Tato und küsste seinen Neffen. „Sethan, auch wenn du der Mächtigste von uns bist, kannst du dennoch nicht verhindern, dass uns ein starkes Band verbindet.“

„Wer sagt denn, dass ich das verhindern will?“

„Alles an dir“ erkannte auch Seto und strich ihm über den Kopf. „So viel du auch bewirken kannst, du kannst nicht unsere Gefühle verändern. Wir lieben dich. Dagegen kannst du dich nicht wehren.“

„Wir lieben dich seit deiner Geburt. Nein, schon seit du uns prophezeit wurdest“ bekräftigte auch Tato und schmiegte den Kopf an seine Schulter. „Lass lieber zu, dass wir dich lieben. Du weißt, dass wir Drachen sonst sehr ungemütlich werden können.“

„Ja, ich hab’s verstanden. Und jetzt hört auf, mich zu trösten und zu betatschen.“ Langsam wurde ihm das peinlich. Er war ein junger Mann und wurde hier mitten auf dem Boden gekuschelt. Sowas taten auch wirklich nur Drachen ohne Bedenken.

„Okay. Und morgen entschuldigst du dich bei Marik“ beschloss Tato, griff ihm unter die Arme und hob ihn völlig problemlos auf die Füße. Dabei war Sethan auch nicht gerade zierlich.

„Ich glaube nicht, dass ich das tun werde.“

„Doch, wirst du“ hielt er dagegen und legte den Arm um ihn. „Ihr müsst ja nicht gleich heiraten, aber zumindest solltest du seine Anwesenheit akzeptieren und ihm ein kleines bisschen Respekt entgegen bringen. Er reist doch schon bald wieder ab und dann bist du ihn los. Genieße es lieber, den jungen Marik zu sehen, bevor er alt und schrumpelig wird.“

„Marik ist cooler drauf als du vielleicht denkst“ legte auch Seto ein gutes Wort für ihn ein. „Als ich noch eine halbe Mumie war, hat er sich aufopfernd um mich gekümmert und sich nicht einen Augenblick geekelt. Und als er, Odion und Ishizu meine einzigen Gesprächspartner waren, habe ich viele gute Seiten an ihnen entdeckt. Besonders an Marik. Er ist ein gutes Oberhaupt und handelt sehr weise, obwohl er noch nicht mal 30 Jahre alt ist. Nebenbei finde ich es bewundernswert wie natürlich er sich im Stadtleben verhält, obwohl er größtenteils in einem historischen Grab unter der Erde lebt.“

„Nächste Woche wollen wir zur Eröffnung des neuen Clubs gehen“ erwähnte Tato nochmals extra. „Du solltest dir überlegen, ob du nicht vielleicht doch mitkommen willst. Du musst dich ja nicht mit ihm in die Lounge kuscheln, aber ihm in einer großen Runde mal zuzuprosten, dazu solltest du dich schon herablassen. Allein um ihm ein wenig Respekt für seine Dienste zu zollen. So viel Ehrgefühl traue ich sogar dir zu.“

„Ich stecke mich nicht gern in diese Diener-Meister-Verhältnisse rein.“

„Aber in Familienangelegenheiten bist du verwickelt, da bist du nun mal reingeboren“ meinte Seto. „Und die Ishtars gehören zur Familie. Auch wenn sie nicht mit uns leben, sind sie uns eng verbunden. Wir sollten sie nicht anfeinden. Besonders ihr Oberhaupt nicht.“

„Könnt ihr jetzt mit der Gehirnwäsche aufhören?“ Er richtete sich seinen verrutschten Morgenmantel und fuhr sein hüftlanges, blondes Haar zurück. Seine Strähnen hatten sich verzottelt und er blieb mit den Finger darin hängen.

„Du siehst unbegeistert aus“ stellte Tato belustigt fest.

„Mama ist ja nicht hier …“

„Bitte?“ Seto blickte beide abwechselnd an. „Habe ich einen Insider nicht mitbekommen?“

„Sethan mag seine langen Haare nicht“ erklärte Tato. „Aber Nini liebt sie. Deshalb lässt er sie nicht schneiden, obwohl sie ihn nerven.“

„Die hat wohl dieselben Flausen im Kopf wie Yugi“ tröstete Seto den haargeplagten Sethan. Er selbst trug ja auch eine Frisur, die er nicht ausstehen konnte. „Ich hätte auch lieber wieder kurzes Haar.“

„Ihr seid aber auch Memmen“ meinte Tato mit verschränkten Armen und modischer Kurzhaarfrisur. „Wenn ihr euch die Haare abschneiden wollt, dann macht es doch einfach. Seid Männer.“

„Und wenn Spatz sagen würde, du sollst sie wachsen lassen?“ bemerkte Sethan.

„Das ist nicht nötig. So viele Haare habe ich nicht, dass wachsen sich lohnen würde.“

„Ich meine wachsen im Sinne von Längerwerden. Nicht im Sinne von rausreißen. Sei nicht immer so spitzfindig, Onkel Tato.“

„Ich habe mir noch nie gern was vorschreiben lassen. Wenn ich kurze Haare will, habe ich kurze Haare. Und wenn ich mir nen Bart stehen lasse, dann lasse ich mir einen Bart stehen. Und wenn ich mir die Fingernägel bunt lackiere, dann tue ich auch das. Da kann mein Spätzchen sich auf den Kopf stellen.“

„Ich glaube dir kein Wort“ dachte Seto und sah seinen Enkel an. „Und wir beide gehen morgen zum Frisör. Ob’s jetzt jemandem passt oder nicht.“

„Meinst du? Ich hatte noch nie kurzes Haar.“

„Schiss?“ grinste Tato ihn provokativ an.

„Geht so“ seufzte er, wischte sich über die Augen und blickte zu Boden. Als würde er sich schämen, so sprach er nach unten. „Onkel Tato?“

„Was denn? Soll ich die Schere gleich rausholen? Ich ärgere meine Pharaonin Schrägstrich Schwester nämlich nicht gerade ungern.“

„Nein. Ich dachte … es ist mir unangenehm, aber kann ich heute Nacht bei dir schlafen?“

„Klar.“ Er senkte seine Stimme und wurde sofort sehr fürsorglich. Er wusste, dass Sethan so etwas nicht leicht über die Lippen kam. „Willst du in Balthasars freiem Bett schlafen oder bei mir? Oder soll ich hier bleiben?“

„Nein, ich … wenn du hier bliebest …“

„Natürlich. Schlafen kann ich überall.“

„Nur wenn es Spatz nicht stört oder … ihr noch …“

„Quatsch, Sex hätte heute eh nicht mehr stattgefunden. So viel Potenz kann er gar nicht vertragen.“ Und das sagte er so selbstverständlich als würde Yami im Zimmer stehen. „Außerdem schläft meine Tochter im Bett nebenan. Da kann nicht mal ich. Selbst wenn ich wollte.“ Er nahm ihn in den Arm und küsste die Klette in seinem Haar. „Ich bleibe gern bei dir heute Nacht. Soll ich dir eine Geschichte vorlesen?“

„Du sollst mich nur einfach nicht ärgern.“

„Dann sage ich auf dem Rückweg drüben bescheid, dass du ausräumig nächtigst“ nickte Seto und küsste Sethans Stirn. „Und wenn du etwas brauchst, dann rufst du, okay?“

„Mache ich. Danke, Oma.“

„Ab morgen darfst du wieder Seto zu mir sagen.“ Das Oma wollte ihm nicht so recht schmecken. Er trug keine Perlenketten und so tief waren die Falten auch noch nicht. Außerdem fehlten Einkaufstasche, Gesundheitsschuhe und Blumenbluse. Er fühlte sich nicht wie eine Oma.

„In Ordnung, Oma.“

„Dein Onkel hat einen schlechten Einfluss auf dich“ argwöhnte er und zog die Augenbraue hoch. Auch wenn ihm nicht nach Scherzen zumute war, wollte er jetzt nicht weiter darauf herumreiten. Sethan schien außer der Weltrettung noch ein ganz anderes Problem zu haben.

Nämlich sich selbst.

Und in seinen Gedanken bemerkte Seto gar nicht wie er auf dem Rückweg Yamis Haarbürste in den Schuhschrank legte …
 


 


 

Chapter 22
 

„Du pennst ja noch!“ Als Tato am nächsten Morgen ins Zimmer kam, lag Phoenix langgestreckt im Bett und ließ sich die Sonne auf den Rücken scheinen.

„Dicker, es ist nicht mal sieben Uhr“ murmelte er müde. „Es ist keine Schande, noch im Bett zu liegen.“

„Du bist hier, um die Welt zu retten und nicht, um Urlaub zu machen. Los, sei ein Medium und steh auf.“ Er zog ihm die Decke vom Arsch, aber Phoenix zog dafür nur das Kissen über den Kopf. Er wollte noch nicht aufstehen.

„Musst du so gute Laune haben?“

„Ist das verboten?“

„Sollte es werden.“

„Wo ist meine Tochter?“

„Bad.“

„Du bist ja muffeliger als ich. Soll ich dich mit einem Lied erfreuen?“

„Nein. Danke.“

„Guten Morgen liebe Sorgen!“

„Ich schlafe noch, Mann!“ schimpfte er, zog das Kissen beiseite und sah ihn verstimmt an. „Warum ärgerst du mich?“

Und mit einem Grinsen erwiderte er: „Weil du dich so schön ärgern lässt.“

„Bah!“ Er steckte den Kopf wieder unters Kissen und beschloss, ihn einfach zu ignorieren. Ein Drache mit guter Laune war noch schlimmer als einer mit schlechter Laune.

Dafür spürte er wie Tato sich auf die Matratze neben ihn setzte, sein sonnengewärmtes Schlafshirt hochschob und ihm einen feuchten Kuss auf den nackten Rücken knutschte.

„Wir schwingen unser linkes Bein behände aus dem Bett,

der Bettvorleger gibt uns Schwung bis direkt vors Klosett.

Na, wo wir schon mal da sind, da bleiben wir auch hier …

Wooaah! Fertig! Wo ist das Papier?“

„Asato“ maulte es irgendwo unter dem Kopfkissen. „Muss das sein?“

„Ja, es muss. Ich singe bis du aufstehst.“

„Und denkst, ich gebe jetzt nach, ja?“

„Wenn ein Tag so wunderschön beginnt, ist alles drin.

Heute bleibt die Dusche kalt, das Wasserrohr ist hin.

Wir gleiten auf den Fliesen aus und prellen uns den Steiß.

Als Krönung schmeckt der Kaffee heute irgendwie nach Schweiß.“

„Diiiiicker“ seufzte er leicht bis mittelmäßig genervt. Musste seine volltonige Stimme so einen nervigen Unsinn von sich geben?

„Ja, mein Schschschschpatz?“ Man hörte das Grinsen in seiner Stimme und dass er provokativ über seine Wirbelsäule leckte, machte die Stimmung nicht besser. Wenn Phoenix nicht genau wüsste, dass da definitiv KEIN Schokoladenüberzug auf seinem Rücken wäre … es fühlte sich an als würde der Drache ihn gleich weglutschen wollen.

„Dicker, sag mal?“ Was anderes fiel ihm nicht ein. Nur nach dem Sex fiel der Gute meist schnell in einen komatösen Schlaf. Yami und Yugi hatten beide bestätigt, dass das ne Drachenkrankheit war. Sex wirkte narkotisierend. Und er wusste nicht, wie er sonst in absehbarer Zeit ausschlafen konnte. „Gibst du Ruhe, wenn ich dich mit Sex betäube?“

„Nur wenn du mich das noch mal vor allen Leuten fragst.“

Das würde er natürlich nicht. Deshalb lüpfte er das Kissen und blinzelte ihn aus dem Dunkeln heraus an.

„Die Zeitung ist geklaut - was soll‘s, die schreiben eh nur Dreck.

Ein Zettel auf dem Tisch - für mich? Aha, mein Freund ist weg.

Mit meinem Auto, meinem Geld - das nennt der nu Liebe.

Die Porno-Sammlung hat er auch, Gelegenheit macht Diebe.“

„Du hast doch gar keine Porno-Sammlung.“

„Meinst du! Guten Morgen liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? Habt ihr auch so gut geschlafen? Na, dann ist ja alles klar! Guten Morgen liebe Sorgen …!“

„Ah! Hör auf, mich abzulecken!“ Jetzt leckte er sich auch noch bis unter die Gürtellinie. Das musste ja nun wirklich nicht sein. „Dicker, Finger weg!“

„Komm schon, Kleiner. Steh auf und kümmere dich um mich.“

„Wer von uns beiden ist hier in der Pubertät, ha?“ Doch als die Hände nun auch noch seine Unterwäsche herunterschoben und eine freche Zunge zwischen die beiden Bäckchen fuhr, drängte sich ein unheilvoller Verdacht auf. Tato hatte morgens niemals gute Laune. Das war total untypisch. Total untypisch … bis auf einen einzigen Tag alle vier Wochen. Und das bedeutete, dass diese gute Laune auch ganz leicht umschlagen konnte. „Dicker …?“

„Jaaaaaa, mein Zuckermuffin?“ Er saugte sich an seiner Arschbacke fest. Das würde einen richtig schönen Fleck geben.

Und Phoenix traute sich nicht wirklich zu fragen. Das konnte seine gute Laune nämlich leicht verhageln. Und dennoch … „Dicker, welche Mo…“

Pling! Pling! Pling!

Gerettet wurde er von einem piependen Handy, welches irgendwo auf dem Nachttisch lag. Das lenkte die Aufmerksamkeit des Drachen ab und ehe Phoenix es sich versah, wurde von ihm abgelassen und das nervende Ding gesucht. Tato fegte die leere Wasserflasche herunter, nebenbei auch die Brille und hatte endlich das Handy in der Hand.

„Wer schreibt dir denn, Spatz? Dein Lover? Betrügst du mich?“

„Unsinn. Leg das Handy zurück. Das ist …“ Er konnte ja nicht ahnen, dass Sareths Handy in Reichweite lag. Wahrscheinlich hielt er es für das seines Geliebten - es war jedoch das seiner Tochter. Und die SMS las er auch mit stetig veränderndem Gesichtsausdruck.

>He babe hast du gut geschlaafen? Brinkst du mich heute zu schule? Hol dich gleich ap. Kuss Edith.<

„Leg das Handy hin. Das ist Saris!“ Phoenix hatte sich unter Tatos Arm endlich soweit aufgerichtet, dass er ihm das Ding wegnehmen konnte. „Man liest keine fremden SMS.“

„Die ist von dem Spasti“ zeigte er auf das Handy und zog die Augenbrauen zusammen. Spätestens jetzt kam der gefürchtete Stimmungsabfall.

„Das ist doch egal. Lass Saris …“

„Wer redet über mich?“ Genau die kam gerade aus dem Badezimmer. Sehr süß sah sie aus mit einem kniefreien, roten Sommerkleid und lockenstabgeformten Strähnen. Anscheinend hatte sie sich etwas herausgeputzt, denn sonst scherte sie sich wenig um ihre Frisur und heute hatte sie sogar Löckchen. Sie bemerkte mit einer leichten Rötung, dass Phoenix sich schnell die Unterwäsche hochzog, bevor sie etwas anderes merkte. „Was macht ihr mit meinem Handy?“

„Du hast ne SMS bekommen“ antwortete Papadrache mit tiefschwarzem Unterton.

„Oh. Okay.“ Sie tat ganz ahnungslos und wollte es von Phoenix zurücknehmen, doch Tato funkte dazwischen, schnappte es sich und las laut vor: „Hey Babe, hast du gut geschlafen? Bringst du mich heute zur Schule? Hole dich gleich ab. KUSS, EDITH! Was schreibt der Spasti dir für Nachrichten?“

„Edith ist kein Spasti, Papa. Warum liest du meine SMS?“

„Das ist doch egal. Was sind das für Sachen, die er da schreibt?“

„Das geht dich gar nichts an. Das ist meine Privatsphäre.“

„Du bist zwölf! Du hast keine Privatsphäre! Besonders nicht mit dem!“

„Papa! Verdammt noch mal!“ Sie streckte die Hand aus, doch er war immer noch größer und so bekam sie ihr Handy nicht leicht zurück. „Gib’s mir zurück!“

„Erst will ich eine Erklärung. Was geht da zwischen euch?“

„Gar nichts geht da! Gib mir mein Handy zurück!“

„Ich bin dein Vater! Ich habe ein Recht darauf, zu wissen, mit wem du dich triffst.“

„PAAAPAAA!“ schrie sie jetzt mit hochrotem Gesicht. Sie wollte ihm eigentlich nicht auf diese Weise sagen, dass sie einen Freund hatte. Sie wusste wie er reagieren würde. Außerdem gingen ihn ihre SMS gar nichts an!

„Schrei mich nicht an, junge Dame!“

„Dicker, komm schon“ versuchte es auch Phoenix. Er stand dafür sogar auf und griff seinen Arm. „Gib ihr das Handy zurück.“

„Und dazu noch so eine miese Rechtschreibung. Was willst du mit dem Dummbatz? Kriegst du keinen mit mehr Intellekt?“

„Ich bin froh, dass Edith überhaupt so gut schreiben kann!“ schimpfte sie und drehte sich um, griff ihre Kniestrümpfe und setzte sich aufs Bett.

„Was bitte soll das heißen?“

„Edith hat sein Handy erst seit gestern“ erklärte sie, während sie ihre hübschen Beine bedeckte. „Aber er kann schon richtig gut SMS schreiben. Du hast keine Ahnung wie schwer das für ihn ist. Er gibt sich sehr viel Mühe mit allem.“

„Ist der dumm im Kopf oder was?“

„Nein, Edith strengt sich sehr an und lernt ganz viel! Er ist sogar sehr intelligent! Du bist ungerecht!“

„Ich und ungerecht? Das ist der denkbar schlechteste Umgang für dich!“

„Edith ist ein feiner Kerl!“ verteidigte sie ihn und stampfte zu ihren Schuhen rüber.

„Was hast du vor?“

„Ich begleite Edith zur Schule. Das habe ich vor.“

„Du tust gar nichts!“

„Und wie ich das tue! Pass nur auf!“

„Sareth Muto! Du bleibst gefälligst hier!“ Und mit einem Windstoß hatte er ihr die Sandalen aus den Händen gefegt. Nun stapfte er selbst zu ihr und blickte wütend herab. „Du hältst dich von diesem Sozialfall fern. Und mach dir ne anständige Frisur und zieh dir was richtiges an. Du siehst nuttig aus!“

„Du kannst mir gar nichts verbieten!“

„Und wie ich das kann! Pass nur auf!“

Und Phoenix schlug sich die Hände vor die Stirn. Das konnte ja was werden mit den zwei Dickköpfen und er mittendrin.

„Fein! Dann gehe ich eben barfuß!“ Entschieden zog sie sich die Strümpfe von den Füßen, schmiss sie ihrem Vater hin und streckte die Hand nach oben. „Und jetzt hätte ich gern mein Handy zurück.“

„Das ist konfisziert.“ Und verschwand vollends in seiner Faust. „Das bekommst du erst wieder, wenn du den Spasti zum Teufel gejagt und dich richtig angezogen hast.“

„Edith ist kein Spasti. Er ist ein aufrichtiger und lieber Junge und hat keine unlauteren Absichten. Ich bringe ihn nur zur Schule und vielleicht hole ich ihn auch wieder ab. Und dann gehen wir ein Eis essen und machen all die schlimmen Sachen, die Jugendliche nun mal machen. Nämlich in die Bücherei gehen und vielleicht dann noch ein bisschen auf der Parkbank rumsitzen. Oder Schock! Vielleicht halten wir sogar Händchen! OH DEIN GOTT!“

„Und kommst schwanger nach hause und dann?“

„Vom Eisessen oder Händchenhalten wird man nicht schwanger. Ich könnte gar nicht schwanger werden, denn ich habe noch nicht mal meine Periode!“

„Das wird dem aber ziemlich egal sein.“

„Weißt du was?“ zischte sie zu ihm machte dann eine merkwürdige Geste mit der linken Hand. Es sah aus als wolle sie ihre süßen Locken eindrehen.

„AUA!“ Doch stattdessen schlug Tato sich an den Hals und sah ein fettes Insekt zur Tür fliegen.

„Davon fliegen noch mehr draußen rum“ drohte sie, hüpfte hoch und hatte sich im unbeobachteten Moment ihr Handy geschnappt.

„Du redest mit Mücken?“

„Das war ne Pferdebremse, du Hohlkopf. Als Strafe, dass du so mies über meinen Schatz herziehst.“

„DEINEN WAS?!“

„Ich würde mal Onkel Moki besuchen. Bremsenbisse können nämlich sehr schmerzhaft sein und anschwellen. Guten Morgen, Vater.“

Er war so was von perplex, dass er die Herrin der Fliegen nicht daran hinderte, die Tür aufzumachen und wütend hinter sich zu zu knallen.

Und da stand er nun. Der Papadrache. Von ner Pferdebremse gebissen und seiner Autorität beraubt. Mit einem denkbar enttäuschenden Schwiegersohn in spe.

„Ich glaube“ bemerkte Phoenix vorsichtig, „jetzt sind wir zu zweit in der Pubertät.“

„Komm mir nicht mit Pubertät.“ Er rieb seinen anschwellenden Bremsenbiss und trat beleidigt die Strümpfe aus seinem Weg. Jetzt war seine gute Laune definitiv hinüber.

Schmollend plumpste er auf den Sessel, lehnte den Kopf zurück und stierte an die Decke. Das musste er jetzt erst mal verarbeiten.

Phoenix hob die dünne Sommerdecke vom Boden auf, wickelte sie um seinen schmalen Körper und setzte sich behutsam zu seinem Drachen auf die Lehne. Jetzt stand ihm seine erste Drachenbesänftigung bevor. Er war sein Partner und fühlte sich nun dafür zuständig. Früher hatte er ihm zwar auch mal die Meinung gesagt, aber das war etwas anderes. Da ging es nicht um solche Sachen. Nicht um so private, tief persönliche und einschneidende Sachen. Sareth hatte ihrem Vater noch niemals die Stirn geboten. Sie hatte immer auf seine Trauer und seinen Stolz Rücksicht genommen. Doch nun setzte sie sich durch und das war eine neue Situation für ihn. Und Phoenix wollte nicht darin versagen, ihm richtig beizustehen und ihn bei dieser Umstellung zu unterstützen. Seine Tochter war noch immer sein Lebensinhalt und alles, was ihm von seiner geliebten Frau geblieben war. Natürlich wollte er sie nicht loslassen.

Doch nun wollte Phoenix ihn erst mal milde stimmen und ihm dann ruhig ins Gewissen reden. Wenn das zur Mondphase überhaupt möglich war.

„Möchtest du Kaffee, Dicker?“

„ … “

Das hieß dann wohl nein. Und die arme Zimmerdecke stand bei seinem dunklen Blick sicher Todesängste aus.

„Oder eine Zigarette?“

„ … “

Na, super. Das konnte schwierig werden. „Kann ich irgendetwas tun, um deine Stimmung aufzuhellen?“

„Blas mir einen.“

„Ähm …“ So hatte er sich das eigentlich nicht vorgestellt.

„Dann lass mich einfach.“

„Hey, komm schon.“ Er nahm seinen Mut zusammen und vertraue darauf, dass ihm schon nichts passierte. Keine Angst vor großen Tieren. Er rutschte von der Lehne auf seinen Schoß, griff sich den muskulösen Arm und legte ihn um seine Taille. „Sei nicht böse. Rede mit mir.“

„Du spielst gern ein doppeltes Spiel, was?“ Er funkelte ihn mit seinen stürmisch blauen Augen an und kräuselte die Stirn.

„Warum sagst du so was gemeines?“

„Du hast doch gewusst, dass sie sich mit dem Spasti trifft.“

„Wie …?“

„Ihr redet doch über alles. Habt ihr schon immer. Du bist ihr gegenüber also loyaler als mir. Gut zu wissen.“

„Jetzt sei nicht sauer auf mich.“

„Bin ich aber. Du hättest es mir sagen müssen.“

„Bitte, lass uns nicht streiten.“

„Ich bin nicht derjenige, der Geheimnisse hat.“ Er wandte den Blick zur Seite und war jetzt einfach beleidigt. Da halfen auch keine guten Worte mehr.

Phoenix seufzte und lehnte sich an Tatos Schulter. Wie konnte er ihn jetzt dazu bringen, nicht auch noch sauer auf ihn zu sein? Reichte doch, wenn er sauer auf Sareth war. So kamen sie ja nicht voran.

„Na gut“ beschloss er geknickt, stand von dem gemütlichen Schoß auf, warf die Decke fort und zog sich eine Jeans über. Sein Drache gab sich ignorant und schien wenig dagegen zu haben, wenn er jetzt ging. Aber solange er brav dort sitzen blieb, war Phoenix das auch ganz recht.

Er knöpfte sich die Hose zu und verließ nebenbei das Zimmer. Er musste irgendwas zur Bestechung suchen. Kleine Friedensgeschenke. Den Tipp hatte er sich von Yugi abgeschaut. Der kam auch mit kleinen Gaben, wenn Seto am Schmollen war.
 

Im Restaurant saßen schon die ersten Gäste. Ein paar Schüler hatten sich an einem Tisch versammelt, aßen belegte Brötchen und schrieben nebenbei ihre Hausaufgaben ab.

Phoenix ließ sie links liegen und erlaubte sich Eintritt in die Küche. Dort stand doch tatsächlich Sareth am Herd und drehte irgendetwas in einer Pfanne um.

„Na?“ grüßte er mitleidig und schaute, was sie dort tat. „Du machst Pfannkuchen?“

„Pancakes. Für Edith“ antwortete sie. „Und schmollt er noch?“

„Hast du ne Ahnung. Jetzt ist er auch noch sauer auf mich, weil ich ihm nichts gesagt habe.“

„Das tut mir leid. Ich wollte dich da nicht mit reinziehen.“

„Ach was. Der regt sich schon wieder ab, aber schneller geht’s mit Hilfe“ meinte er und sah sich um. „Ist schon Kaffee fertig?“

„Hinten“ zeigte sie, stürzte den Pfanneninhalt auf einen Teller und füllte erneut Teig ein.

Phoenix nahm sich einen der großen Becher und goss ihn mit dampfendem Kaffee voll. Das war doch schon mal ein Anfang.

„Spatz?“

„Ja?“

„Meinst du, ich war zu hart zu ihm? Hätte ich vielleicht subtiler reagieren sollen?“

„Vielleicht. Aber anders kapiert er’s ja nicht.“ Sie schien nicht glücklich damit zu sein. Sie stritt sich nicht gerne. Besonders nicht mit ihrem geliebten Papa. „Aber ich muss den Dicken in Schutz nehmen. Die SMS hat er nicht absichtlich gelesen.“

„Nicht?“

„Na ja, absichtlich schon. Aber ich glaube, er hielt das für mein Handy.“

„Der ist vielleicht doof“ seufzte sie und drehte den zweiten Pancake um. „Ich habe doch Steinchen auf meinem Handy und du nicht. Das weiß er auch.“

„Vielleicht hat er’s nicht gesehen. Morgen ist Vollmond und du weißt, dass seine sieben Sinne da verrückt spielen.“

„Ja, besonders der siebte.“ Das schien ihr Entschuldigung genug zu sein. „Spatz, sag mal. Soll ich dann heute Nacht lieber woanders schlafen?“

„Du meinst, weil er vielleicht …?“ Unangenehm! Es stimmte zwar, dass er und Sareth immer alles miteinander besprachen. Schon seit Kindesbeinen tauschten sie ihre Geheimnisse. Auch wenn Phoenix sich für die Jungenseite entschieden hatte, war er Sareths beste Freundin. Aber ob das jetzt auch noch galt, wo sie irgendwie in einer Stief-Verbindung standen? Wahrscheinlich kam es beiden merkwürdig vor, dass der Drache nun nicht mehr der Papa für beide war, sondern für einen von ihnen der Partner.

„Genau deswegen“ nickte sie. „Das wäre die erste Mondphase, die er mit dir verbringt. Ich würde da nur ungern stören.“

„Ja … darüber muss ich auch noch mit ihm reden. Oh je.“ Er stellte den Becher auf die Arbeitsplatte und setzte sich daneben. „Ist dir das unangenehm, wenn wir über so etwas zusammen reden?“

„Es ist ein bisschen komisch, dass mein Papa jetzt dein Liebhaber ist. Aber für mich ist das kein Problem. Ich bespreche auch weiter private Sachen mit dir, denn ich weiß, dass du mir nicht in den Rücken fällst. Wenn das für dich auch okay ist.“

„Natürlich …“

„Also? Soll ich nun lieber woanders unterkommen? Du musst es nur sagen.“

„Um ehrlich zu sein … ich weiß gar nicht, ob ich mich schon sicher genug fühle. Ich meine ... wenn er nun … du weißt schon …“

„Aber ihr habt doch schon. Oder etwa nicht?“

„Natürlich. Aber Vollmond ist was anderes. Ich weiß nicht, ob ich … ich weiß nicht, ob ich da mithalten kann. Mir ist das ein bisschen unheimlich, weil ich nicht weiß wie sehr sich sein Verhalten ändert. Ich habe ein bisschen Angst vor ihm. Aber ich weiß nicht, ob ich ihm das sagen sollte.“

„Solltest du. Geht doch nicht anders.“ Sie stürzte den zweiten Pancake auf den Teller und machte sich an den dritten. „Wenn du’s ihm nicht sagst, fällt er vielleicht über dich her. Und hinterher tut’s ihm dann leid.“

„Ja, vielleicht …“

„Du hast gewusst, dass er kein gewöhnlicher Mann ist.“ Sie wandte den Blick über die Schulter und seufzte ihm verständig zu. „Da hast du dir was eingebrockt, was?“

„Ich liebe ihn ja. Aber … ich weiß auch nicht. Ist das feige von mir?“

„Morgen, Kinder.“ Seto kam herein. Fertig in Anzug und Krawatte, geduscht, gestriegelt, gezopft und einer morgendlichen Zigarette im Mund. Ungewöhnlich wach für diese Uhrzeit.

„Morgen“ antworteten beide im Chor.

Er ging gezielt zu einem der Hängeschränke, aber stutzte davor, nahm die Zigarette zwischen die Finger und sah die beiden an. „Mein Thermobecher?“

„Hannes hat umgeräumt“ half Phoenix und wies nach rechts. „Drei Schränke weiter.“

„Hrm.“ Also versuchte er dort sein Glück und fand einen schwarzen Halbliterbecher mit Trinkverschluss. Das silberne Herz war mit Nagellack aufgemalt und sah sehr kindlich aus. Da hatte Nini sich dran versucht und für Papa seinen liebsten ‚Lieblings-Kaffee-ins-Büro-mitnehm-Becher‘ bemalt. Den Kaffee fand Seto dann aber immer noch selbst und goss seinen Becher randvoll. „Habe ich euch gestört?“ Die beiden waren verstummt seit er da war. Das fiel sogar ihm auf.

„Nein, sorry“ lachte Phoenix verlegen.

„Du hast doch was.“ Seto entging seine angespannte Äußerung nicht. Da er ohnehin noch etwas Zeit hatte, stellte sich neben Phoenix und nahm die Pancakes auf der anderen Seite der Küche ins Visier. „Was ist los? Irgendwas stimmt doch hier nicht.“

„Ich hatte eine Kontroverse mit Papa“ erzählte Sari und legte den mittlerweile vierten Pancake auf den Teller. „Edi hat mir eine SMS geschrieben, er hat sie gelesen und ist total ausgeflippt.“

„Und?“

„Und ich irgendwie auch. Er unterstellt mir, dass ich mich schwängern lasse und nennt ihn einen Spasti et cetera. Ich finde, er ist ungerecht und vergreift sich im Ton.“

„Wahrscheinlich macht er sich nur Sorgen“ mutmaßte Seto und zog mit eindeutig hungrigen Augen an seiner Zigarette. Die Pancakes rochen gut und sahen lecker aus. Ob sie ihm davon etwas abgab?

„Trotzdem.“ Und sie sah den hungrigen Blick hinter sich gar nicht, war so beschäftigt mit der Pfanne. „Er tut so als würde ich sofort heiraten und auswandern und irgendwo in einem Wohnwagen nen Haufen ungebildeter Sozialhilfeempfänger großziehen. Er ist vollkommen irrational.“

„Vaterliebe ist niemals rational“ meinte er, griff über Phoenix und nahm sich einfach den Becher mit Kaffee. Seinen wollte er ja ins Büro mitnehmen, musste folglich einen anderen trinken. „Vielleicht solltet ihr euch nach Vollmond noch mal vernünftig unterhalten.“

„Kannst du nicht ein gutes Wort für Edith einlegen? Auf deine Meinung gibt er wenigstens was.“

„Ich weiß nicht, Schatz. Ich kenne Edith ja kaum.“ Er trank den Becher leer und zog an seiner Zigarette. Was er aber eigentlich haben wollte, wurde soeben mit Nutella bestrichen und in eine Tupperdose gelegt.

„Sari?“ lächelte Phoenix freundlich. Sie drehte sich zu ihm um und er nickte vielsagend auf den rauchenden Kaffeedieb. Bestechung lohnte sich!

„Oma, möchtest du auch einen Pancake haben?“

„Nenn mich nicht Oma.“ Aber sein Blick gab eine deutliche Antwort.

Also bestrich sie den nächsten ebenfalls mit Nutella, klappte ihn zusammen, legte eine Serviette darum und brachte ihm ihr Bestechungsgeschenk.

„Du redest doch mit Papa, oder?“

Er stellte den leeren Becher fort, griff das Geschenk, zögerte nicht lange und biss sofort in den weichen Teig, kaute langsam und sah sehr zufrieden aus. Drachenfütterung erfolgreich.

„Und schmeckt gut?“

„Yummy yummy“ schmatzte er und nahm noch einen Bissen. Sie kehrte zu ihrer Küchenarbeit zurück, aber er nahm seinen Part auch wahr. „Okay, ich werde mal mit deinem Papa sprechen. Bring Edith doch übermorgen mal ganz unverbindlich zum Grillen mit.“

„Edith isst aber kein Fleisch. Er ist auch Vegetarier.“

„Sari, es geht ja nicht ums Essen“ half Phoenix aus. „Oder meinst du, dass wir vegetarisch kochen müssen, damit er uns besucht?“

„Nein. Wenn ich ihn bitte, wird er ganz bestimmt kommen. Ich bin nur etwas durch den Wind.“ Den nächsten Pancake bestrich sie mit Kirschmarmelade. „Ich hoffe, dass die beiden sich bald besser verstehen. Dieses Versteckspiel macht mir nicht wirklich Spaß.“

„Du bist ziemlich reif für eine Zwölfjährige“ bemerkte Seto und und steckte sich das letzte Stück in den Mund. Diese leckeren Dinger waren einfach zu klein.

„Musst du jetzt auch damit anfangen? Ich werde nicht schwanger! Ich habe noch nicht mal einen Eisprung!“

„Ich meinte nicht deine körperliche Reife, sondern deine geistige“ erklärte er ganz ruhig und gelassen. „Mir brauchst du deine Vernunft nicht beweisen. Ich rede dir nicht aus, in wen du dich verliebst. Aber gibt es nicht auch etwas anderes, worüber du dir Gedanken machen solltest?“

„Und das wäre?“

„Euer Altersunterschied. Und ich meine nicht nur die momentan drei Jahre.“ Er meinte den Unterschied einiger Jahrzehnte, der sie trennte. Wenn Sareth geboren wurde, wäre Edith bereits ein reifer Mann. Und wenn sie ein Teenager war, war er schon fast Rentner. Das war es, worüber sie sich eher Gedanken machen sollte. Dass er auf ihre Geburt wartete, war mehr als unwahrscheinlich. „Und du?“ schaute er zu Phoenix. Es war deutlich, dass Sareth hierüber nachdenken musste. Auf jeden Fall würde sie darauf so schnell nicht antworten und drängen wollte Seto sie auch nicht. Edith schien ja ihre große Liebe zu sein und an eine Trennung zu denken, war schmerzhaft. Dieses Thema musste man behutsam angehen und nicht mit dem Brecheisen.

„Was ich?“

Er legte die Serviette beiseite und rauchte gelassen seine Zigarette weiter. Von der Fensterbank hinter sich nahm er einen Aschenbecher und schnippte die Asche ab. „Was ist mit dir, Spatz? Du siehst auch aus als hättest du etwas auf dem Herzen.“

„Bist du jetzt unter die Hobbypsychologen gegangen?“ lachte Sareth und machte mit dem nächsten Pancake dann auch die Dose voll.

„Ich habe nur zu viel Zeit bis der Köter auch endlich mal antrabt. Und ihr seht aus als bräuchtet ihr Hilfe von einem Erwachsenen.“

„Du und erwachsen, Oma?“

„Ha ha.“ Sehr lustig. Wirklich.

„In der Tat. Vielleicht kannst du mir helfen“ nickte Phoenix. „Es ist mir etwas peinlich, aber … morgen ist ja Vollmond.“

„Wie jeden Monat. Na und?“

„Na, dieses Mal …“

„Mann, Seto“ schlug Sareth sich an die Stirn. „Denk doch mal erwachsen.“

„Oh.“ Nun wurde er rot im Gesicht. „Ach so … das.“

„Ja, ach so das.“

„Und ich weiß nicht, was ich machen soll“ stammelte Phoenix und baumelte verlegen mit den Beinen. „Ich liebe ihn ja, aber ich weiß nicht, ob ich ‚dafür‘ bereit bin.“

„Aber … ihr habt doch schon. Oder nicht?“

„Warum fragen mich das alle?“

„Ja, haben sie“ half Sareth. „Aber du weißt selber wie ihr brunftigen Drachenbullen dabei abgeht.“

„Könntest du bitte eine Formulierung finden, die weniger nach Narla klingt? Frau Drachenweibchen?“

„Ich kann nur verstehen, dass Spatz sich davon eingeschüchtert fühlt.“

„Ich bin da nicht so gut drin. In solchen Sachen“ entschuldigte er und kratzte sich ebenso verlegen am Kopf. „Vielleicht solltet ihr das mit Onkel Noah besprechen.“

„Aber du weißt doch, wie man sich dabei fühlt“ bat Phoenix. Er wollte dieses Problem nicht bei jedem in der Familie breittreten. „Würdest du dich beleidigt fühlen, wenn Yugi … na ja … wenn er nicht so recht will?“

„Wenn er sich ‚drücken‘ würde“ ergänzte er und rauchte an seinem immer kleiner werdenden Stummel herum. „Ein Mal war Yugi von einer Erkältung geschwächt. Da hat er mir einfach gesagt, dass er es den Monat nicht schafft. Also haben wir’s gelassen. Ich war nicht beleidigt. Eher im Gegenteil.“

„Im Gegenteil?“

„Ich fände es traurig, wenn Yugi sich nur um mich kümmert, weil er muss. Ich würde nicht wollen, dass er sich zu ‚so etwas‘ verpflichtet fühlt. Da ist es mir lieber, wenn er mir ehrlich sagt, ob er will oder nicht. Er sollte wollen und nicht müssen. So.“

„Du meinst, ich soll es ihm sagen, dass ich … ich will ja, aber jetzt noch nicht. Ich habe ein bisschen Angst, wenn er … na ja … die Kontrolle verliert.“

„AH! Vollmondgespräche!“ Yami kam in die Küche getanzt. Er sah jedoch nicht aus wie frisch aufgestanden, sondern eher wie gar nicht ins Bett gegangen. Doch sonderlich müde schien er auch nicht, denn er bediente sich sofort an dem Aufschnitt, den Hannes auf einem Tablett hinter der Tür angerichtet hatte. „Kann ich helfen?“

„Du ganz sicher nicht“ brummte Seto. Yami sprach ihm das zu offen aus.

„Lass mich raten.“ Er rollte ein paar Scheiben Schinken zusammen und kaute glücklich darauf herum. „Dado würd rollich un Spatsch kriescht Angscht. Richtich?“

„Treffer versenkt“ seufzte Phoenix. „Seto meint, ich soll es ihm sagen und kneifen.“

„Das hat mit Kneifen nichts zu tun, mein Süßer.“ Er blieb gleich beim Tablett stehen und pickte die besten Stücke heraus. Der erste Happen war nur die Probe, ob die Sachen so lecker waren wie sie aussahen. „Seto, sorry wenn ich das jetzt mal frei ausdrücke.“

„Als würde dir was leidtun.“

„Tato ist ein ausgewachsener Drachenbulle“ sprach Yami ungerührt weiter. „Er hat sowieso schon starken Nachholbedarf. Jetzt stell dir mal vor, der wird rollig. Der arme Kerl weiß doch gar nicht wohin mit seinen Gefühlen. Oh Salami! Und dann kommt da ein schmächtiges Bürschchen wie du daher. Du hast ihm doch gar nichts entgegen zu setzen. Ich will dir ja keine Angst machen, aber wenn er richtig in Fahrt kommt, kann er dich durchaus schwer verletzen.

„Meinst du?“

„Also, mein Drache hat mir mal ne Rippe gebrochen.“

„So schlimm ist das ja nun auch nicht“ intervenierte Seto beschämt. „Es ist ja nicht so als würden wir gar nichts mehr mitkriegen.“

„Das sage ich auch nicht. Aber du kannst nicht leugnen, dass ihr eure Kraft nicht immer richtig einschätzen könnt. Oder hat Yugi dich noch nie gepackt und ruhig gestellt?“

„Ich … nein! Hat er nicht!“

„Du bist so ein schlechter Lügner, Engelchen“ schmunzelte er und schob sich eine zusammengerollte Schinkenscheibe in den Mund. Man sah es an Setos Nasenspitze, dass er log. Nein, er log nicht. Er wollte es nur nicht zugeben, dass er sich nicht immer unter Kontrolle hatte. „Schpatsch, schauma. Dasch had mid Gneifen niksch schu tun.“ Schluck. „Es ist ganz normal, dass man vor einem Kerl wie Tato Respekt hat. Mit seiner Kraft und der überschüssigen Energie kann er schon ziemlich einschüchtern. Ich will nicht sagen, dass er dir notgedrungen wehtut, aber es kann passieren, dass er deine Einwände als Spiel versteht und anfängt, mit dir Katz fängt Vögelchen zu spielen. Und dann ziehst du den Kürzeren.“

„Also …“ Diese klaren Worte machten Phoenix traurig. „Das klingt, als wäre ich nicht der Richtige für … diese Sachen.“

„Für Mondsex“ brachte er es klar auf den Punkt und steckte sich ein kleines, rohes Würstchen in den Mund.

„Ich bin schon ziemlich enttäuschend für ihn, oder?“

„Nein, verstehe mich nicht falsch. Ich war noch nicht fertig.“ Und Seto blickte auf die Uhr. Hoffentlich war Joey gleich fertig, damit er endlich ins Büro fahren konnte und Yami nicht mehr bei seinen zwar treffenden, aber auch peinlichen Erklärungen lauschen musste. Er stellte lieber den Blumentopf ins Regal zu den Gläsern und lauschte dem seelenruhigen Monolog des alten Pharaos. „Ich an deiner Stelle würde auch nicht sofort die Mondphasen mit ihm verbringen. Und jetzt kommt mein Rat an dich, Spätzchen. Du solltest erst mal lernen wie man einen Drachen hinlegt und dann kannst du auch deinen Spaß mit ihm haben.“

„Wie hinlegen? Ich kann ihm doch keine K.O.-Tropfen untermischen oder einen Elektroschocker mit ins Bett nehmen.“

„Du hast ja lustige Ideen.“

„Ati, das war ein Beispiel.“

„Ja ja. Aber wenn du weißt, wo du hinlangen musst, kannst du ihn auch mit ganz wenig Körpereinsatz an dummen Aktionen hindern. Seto ist weitaus kräftiger als ich, aber wenn ich wollte, könnte ich ihn jetzt sofort mit zwei Handgriffen auf den Boden legen.“

„Was wir hier nicht ausprobieren wollen“ wehrte der sofort ab. Soweit kam das noch, dass er sich hier als Anschauungsobjekt hergab!

„Und er weiß, dass ich das kann“ schmunzelte Yami dreckig. „Und du kannst das auch. Wenn du deinen Drachen erst ausreichend erforscht hast, brauchst du nur die richtigen Knöpfe drücken und er legt sich so hin wie du willst. Nichts anderes habe ich mit Seth auch gemacht. Wenn er zu stürmisch wurde, sodass ich meine Gesundheit in Gefahr sah, habe ich ihn einfach gezwungen, sich zu beruhigen. Dann legst du ihn hin, wartest ein paar Minuten bis er runtergefahren hat und danach kann’s weitergehen. Du musst dich vor rolligen Drachen einfach in Acht nehmen und mit gutem Zureden, kommst du nicht immer weiter. Dafür musst du aber nicht kräftiger oder größer sein. Du musst nur seine Reaktionen kennen. Du musst dir mal angucken wie Yugi seinen Drachen nachts durchs Bett bugsiert. Und der Schüsche kriescht dasch nisch ma mid. Auaaa!“ Der Fleischsalat war wohl doch noch nicht ganz aufgetaut. Mensch, an den Fleischstücken brach man sich ja die Zähne ab. „Davon abgesehen“ ächzte er und bohrte sich die gefrorene Fleischwurst aus dem Gebiss. „Davon abgesehen, halte ich Tato für so vernünftig, dass er deine Bedenken versteht und akzeptiert. Hat mal einer nen Zahnstocher?“

„Nein“ brummte Seto. Aus Prinzip schon nicht.

„Ich schätze ihn sogar so ein, dass er diese Mondphase nicht mal unbedingt mit dir verbringen will. Ich glaube, er weiß selbst nicht wie er nach so langer Zeit reagiert. Ich meine, er hat Nachholbedarf und steht in der Blüte seiner Potenz. Und er will dir ja auch nichts tun. Du solltest keine Angst haben und das Thema einfach offen ansprechen. Denn letztlich weiß niemand besser als ihr beide, was zwischen euch abläuft. Punkt.“

„Was für eine Ansprache“ murrte Seto und drückte seinen Zigarettenstummel aus.

„Ja, ich bin gut drauf, was?“ freute er sich und nahm gleich die ganze Schale mit Speck, die er mit den Fingern verspeiste. „Wollt ihr denn auch wissen, wo ich letzte Nacht Sex hatte?“

„Kein Interesse.“ Da sprach Seto wohl allen aus der Seele.

„So langsam kriege ich Finn richtig gut eingeritten. Aus dem wird noch ein richtiger Hengst! Also ich meine, das ist er eh schon. Aber er öffnet sich langsam auch für spannendere Sachen. Ich glaube, er würde alles für mich tun. Vielleicht sogar seine Zunge in …“

„Yami, es sind Minderjährige anwesend.“

„Ja ja. Aber was ich sagen wollte! Letzte Nacht … huch!“

„Tschuldigung.“ Hannes kam herein und sah nicht, dass Yami direkt hinter der Tür stand. Da hatte er ja eigentlich auch nichts zu suchen. „Gutem Morgen zusammen“ grüßte er in die Küche.

„Morgen“ grüßte die Küche zurück.

„Pharao, alles heil?“

„Ja, ich habe mich nur erschrocken“ lachte er und nahm seine Speckschale mit. „Sag mal, Lieblingswirt, können Finn und ich heute Frühstück im Bett bekommen?“

„Natürlich, kein Problem. Wann wollt ihr denn frühstücken?“

„Jetzt gleich?“

„Oh.“ Das passte ihm wohl gerade nicht allzu gut. „Hast du was dagegen, wenn ich erst die Käseplatte fertig mache? Olga hat mich heute nämlich leider im Stich gelassen.“

„Warum?“

„Magen-Darm. Sie bleibt bis Mittwoch zuhause.“

„Klar, wir können warten“ meinte Yami und hatte ja seine Schale mit Speckwürfeln, die ihm die Wartezeit vertrieb. „Finn und ich gehen eh erst duschen. Lass dir Zeit.“

„Prima. Danke.“

„Und klopfe lieber an, bevor du reinkommst. Nur zu deiner eigenen Sicherheit.“

„Ähm … danke.“ Das war ein durchaus hilfreicher Tipp, denn es gab Dinge, die wollte man nicht mutwillig sehen. „Und was habt ihr heute vor?“ fragte er die anderen. „Seto, du bist schon so früh auf“ stellte nun selbst Yami fest. „Wichtige Termine am ersten Arbeitstag?“

„So in der Art. Wir müssen heute zum Frühstück mit unserem neuen Eros-Modell. Noah ist schon unterwegs.“

„So früh?“

„Er holt ihn persönlich ab und mir ist die Uhrzeit auch ganz recht. Vielleicht komme ich dann früh genug raus, dass ich mit Sethan zum Frisör gehen kann.“

„AH! ZUM FRISÖR?“ Yami hoppelte auf ihn zu. Das gab nicht nur ihm die Gelegenheit, Setos wunderschönen Flechtzopf zu bewundern, sondern auch Hannes den freien Weg zu nutzen, und den fehlenden Aufschnitt zu ersetzen. „Aber Seto. Engel. Herzchen. Deine Haare sind so schön lang!“

„Eben deshalb. Ich mag das nicht.“

„Aber Yugi hat doch gesagt, du sollst sie lang lassen.“

„Aber nur ein paar Tage. Und er hat gesagt, wenn ich sie dann immer noch nicht mag, kann ich sie abschneiden.“

„Aber Seto!“ Er nahm die Schale in die andere Hand und griff mit der sauberen den hüftlangen Zopf, fühlte das dicke, weiche, seidige Haar zwischen seinen Fingern. „Ach Seto, du hast so schönes Haar. Du weißt gar nicht wie viel das wert ist.“

„Ich will’s ja auch nicht verkaufen.“

„Du bist doch doof. Hast du ne Ahnung, was ich drum geben würde, deine Haare zu haben? Die kannst du doch nicht einfach abschneiden lassen. Ach, da würde ich wirklich was drum geben … alle Leute bewundern deine Haare.“

„Würdest du auch die Küche verlassen?“

„Was?“ Nun guckte er verwundert an ihm herauf. „Ob ich die Küche verlassen würde, wenn ich deine Haare hätte?“

„Autsch … Ati“ warnte Sareth. Die roch den Braten.

„Ich würde alles dafür tun, wenn ich deine Haare hätte, Großer“ meinte Yami. „Bitte geh nicht zum Frisör.“

„Ich nehme dich beim Wort.“

„WHUA!“ Yami sprang zurück als Seto sich das Küchenmesser aus dem Holzblock griff und ihn ernst ansah. „Engel, was hast du vor?“

Und er tat es wirklich. Es machte ZING und der Zopf war ab.

Alle in der Küche hielten geschockt den Atem an. Seto war echt so verfroren und schnitt seine tollen, langen, wunderschönen Haare ab. Einfach so.

Er hielt sie Yami hin, der den Flechtzopf zögerlich entgegennahm und selbst völlig perplex war. Das hatte er nicht kommen sehen.

„Du hast gesagt, du würdest alles tun, wenn du meine Haare hättest“ grummelte Seto und legte das Messer in die Spüle. „Also bitte. Dann geh jetzt zu Finn ins Bett und nerv mich nicht weiter.“

„Ähm …“ Er betrachtete den Zopf und es fiel ihm tatsächlich kein schlauer Kommentar dazu ein. Kompliment, Seto hatte gewonnen und Yami mundtot gemacht. „Schon klar“ stammelte der und behielt den Zopf einfach. „Also dann, viel Spaß beim Frisör!“ Er winkte den anderen und verschwand wieder. Selbst schuld, wenn er so einen dummen Handel einging. Doch er war Manns genug, um sich dran zu halten, alles für Setos Haare zu tun. Da verließ er sogar die Küche.

„Hat eigentlich jetzt einer rausbekommen, was er wollte?“ zeigte Sareth auf die zugeschwungene Tür.

„Wahrscheinlich Frühstück bestellen“ mutmaßte Seto und blickte nochmals auf die Uhr. Wo blieb der Köter nur?

„Jetzt hast du ganz schiefe Haare“ seufzte Phoenix, zog sich das dünne Zopfband heraus und reichte es Seto. „Wenigstens bis der Frisör es richtet.“

„Danke.“ Seto band die schiefen Fransen zu einem vergleichsweise winzigen Zopf zusammen und sah wenigstens ein bisschen konservativer aus.

„Soll ich dir helfen beim Frühstück für den Pharao?“ bot Phoenix dann Hannes an, der etwas gehetzt die Aufschnittplatte nachfüllte.

„Nein, danke. Das geht schnell. Ich brauche demnächst eher dringend noch einen zusätzlichen Koch“ seufzte er, denn die Arbeit ganz ohne Küchenhilfe wuchs ihm heute über den Kopf.

„Frag doch Yugi, ob er dir hilft“ meinte Phoenix. „Der kann ganz prima kochen. Yugi ist ein Meister der Gewürze.“

„Ich kann doch nicht den Pharao bitten, meine Gäste zu bekochen. Nein, wirklich nicht“ schüttelte er den Kopf und holte ein großes Holztablett aus dem Regal.

„Oder falls wir dir helfen können“ bot er zusätzlich an. „Ich habe eigentlich wenig zu tun. Und die anderen helfen dir bestimmt auch gern aus. Wir können zwar alle nur normal kochen, aber zum Überbrücken reicht es vielleicht erst mal.“

„Das ist lieb von euch, aber in absehbarer Zeit brauche ich eh einen neuen Koch oder zumindest eine Küchenhilfe. Seit Georg vor vier Monaten sein eigenes Restaurant aufgemacht hat, fehlt mir einfach eine Kraft. Und auf Dauer wird das für Olga und mich auch zu viel. Oh.“ Da entdeckte er etwas und ging zu Seto und Phoenix herüber.

„Was denn?“ schaute Phoenix und hüpfte schnell von der Arbeitsplatte. Ärsche hatten auf der Arbeitsplatte eigentlich nichts zu suchen. „Sorry.“

„Quatsch, bleib ruhig sitzen“ bat Hannes und beugte respektvoll seinen Kopf vor Seto. „Bitte sei mir nicht böse, Eraseus, aber es wäre mir lieber, wenn in der Küche nicht geraucht wird.“

„Natürlich. Entschuldige.“ Er gab ihm anstandslos den dreckigen Aschenbecher und sah das auch ein. Die Küche war ein hygienischer Raum und es sollte selbstverständlich sein, das Rauchverbot einzuhalten. „Kommt nicht wieder vor.“

„Vielen Dank. Das ist sehr rücksichtsvoll von dir.“ Er entsorgte den Stummel und beugte nochmals seinen Kopf. Er wusste, dass er mit den Priestern äußerst respektvoll umzugehen hatte. Dann gab es auch bei Kritik kein böses Blut.

Weniger respektvoll war Joey, der mit ungebundener Krawatte in die Küche stürmte und nebenbei wenigstens den Gürtel schloss. „Mann, Drache! Wo bleibst du denn so lange?“

„Ich bin nicht derjenige, der noch seine Freundin beglücken musste.“

„Hast ja nicht mal ne Freundin. Stattdessen stehst du da, süffelst Kaffee, gehst den Leuten auf den Keks und dabei haben wir einen wichtigen Termin um acht Uhr.“

„Morgen fahre ich einfach ohne dich und deine Libido. Idiot.“ Er nahm seinen Thermobecher, ging zu Sareth und küsste sie zum Abschied, während die noch die Tupperdose mit einer liebevollen Schleife verpackte.

„SÄTO! Hör auf rumzuknutschen und komm endlich! Noah killt uns, wenn wir zu spät kommen. Du weißt wie zickig sein Model wird und so kriegen wir den Vertrag nie unterschrieben. Ich habe die Kampagne schon fast fertig. Das einzige, was noch fehlt, ist die Unterschrift dieses verdammten Models.“

„Mit dir habe ich aber auch noch ein Hühnchen zu rupfen, Köter.“

„Ich denke, du bist den manischen Vegetariern beigetreten und rupfst keine Hühner mehr.“

„Ich bin vielleicht Vegetarier, aber nicht im Hundeschutzverein. Warum hast du mich bei dieser bescheuerten Onlinedating-Seite angemeldet?“

„Ah, du hast es rausbekommen?“

„WARUM WILL ICH WISSEN?“

„Ich wollte gucken, wer mehr Zuschriften bekommt“ antwortete er locker aus dem Stand. „Du hast bis … ja, vorgestern habe ich das letzte Mal reingeguckt. Da hattest du 83 Kontaktanfragen bekommen.“

„Ach. Und darüber soll ich mich freuen?“

„Solltest du. Ich habe nur 15 bekommen. Du bist eindeutig der bessere Schwule von uns beiden.“

„KÖTER!“

„Was denn? Freu dich doch. Was hast du überhaupt mit deinen Haaren gemacht? Mit der scheiß Frisur verringerst du nur deine Onlinechancen.“

„WAS?!“

„Ich wollte eigentlich demnächst Bilder von uns einstellen. Ich wette, dass ich dann mehr Zuschriften bekomme als du.“

„Los, raus jetzt.“ Er schob Joey aus der Tür und setzte die Diskussion dann auf der Fahrt fort.

„Hast du alle Pancakes eingepackt?“ fragte Phoenix, der wie gewohnt diese täglichen Zankereien ignorierte. Pancakes wären die perfekte Bestechung für Papadrache.

„Sorry. Sind schon versiegelt“ zeigte Sareth die liebevoll dekorierte Dose hoch. „Du suchst nach was Süßem für Papa, oder?“

„Was Süßes für deinen Drachen habe ich noch“ konnte Hannes helfen. „Komm mit in den Kühlraum, Kleiner.“

Phoenix trabte ihm nach bis ans Ende der Küche. Dort schob Hannes eine dicke Eisentür auf und ließ sich in den kleinen Raum mit den weißen Blechregalen folgen. Dort griff er nach oben, holte eine große, runde Pappschachtel herunter und stellte sie in ein freies Regal darunter.

„Schau.“ Er öffnete die Schachtel, holte eine kleinere Plastikdose heraus und öffnete sie. Und darin zum Vorschein kam ein Viertel einer Schokoladentorte. Oben auf mit Marzipanrosen verziert und Blättern aus Edelbitterschokolade. Der Teig aus dunklem Schokoladenboden und zwischen zwei Schichten Kirschmarmelade. Das ganze überzogen von dunkler Zartbitterschokolade, marmoriert mit weißer Schokolade.

„Wow!“ staunte Phoenix und sah seinen Atem kondensieren. „Das ist ja ein Meisterwerk. Woher hast du das?“

„Der Sohn von meinem Freund hat kürzlich seine Lehre als Konditor abgeschlossen und das ist eines seiner Machwerke. Ich hatte noch keine Gelegenheit zu probieren, aber wenn es so gut schmeckt wie es aussieht, ist das genau das richtige für euch Zuckermäuler.“

„Hannes, du hast mein Leben gerettet. Darf ich die haben?“

„Wo das herkommt, gibt’s noch mehr“ lachte er und überließ ihm großzügig die Dose. Dazu noch ein Kaffee und die Besänftigung stand unter einem guten Stern.
 

Mit einem Viertel Schokoladentorte auf einem mit Sahneblumen garnierten Teller und einem dampfenden, schwarzen Kaffee bewaffnet, traute er sich zurück in die Höhle des Drachen.

Der war zwar nicht brav auf seinem Sessel sitzen geblieben, aber nur aufs Bett umgezogen. Dort ließ er sich nun seinerseits die Morgensonne auf den nackten Rücken scheinen und öffnete mürrisch die Augen als das Öffnen der Tür seine schmollende Stimmung störte. Phoenix bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Tato den Stuhl in die Dusche gestellt hatte und eines der Bücher über den Fernseher hing. Ständig legte er Sachen an die merkwürdigsten Orte, doch wenn man ihn darauf ansprach, ignorierte er das und jetzt würde Phoenix zwar zu gern eine Erklärung dafür aus ihm herauspressen … aber dafür war nicht der richtige Moment.

„Hey, Dicker“ lächelte Phoenix, schloss die Tür leise und brachte ihm die guten Gaben ans Bett. Noch bekam er keine Reaktion, aber er schob ihm den Teller bis fast vor die Nase und wedelte den Duft des Kaffees in sein Gesicht. Ganz wie in der Werbung.

„Du willst mich bestechen“ bemerkte er mit beleidigtem Ton.

„Stimmt“ erwiderte er dafür mehr versöhnlich. „Und funktioniert es?“

„Denkst du, ich bin so einfach gestrickt?“

„Um ehrlich zu sein … ja?“

Er musste noch einige Momente warten, doch dann konnte der Drache eben doch nicht widerstehen. Er richtete sich in den Schneidersitz auf, griff den Teller, nahm die Vierteltorte mit der Hand und biss ein großes Stück heraus.

„Asato“ seufzte er höflich. „Kannst du nicht die Gabel nehmen?“

„Warum sollte ich?“

„Damit du nicht ganz so asozial aussiehst. Hier.“ Er gab ihm die Gabel sogar in die Hand. Ein Mindestmaß an Benimm sollte doch wohl zu verlangen sein.

Der Drache brummelte zwar, aber nahm dann doch das Besteckt. Er probierte die Sahne, paarte sie mit der Torte und verfrachtete sie mit mürrischem Gesichtsausdruck in den Mund. Er war noch immer nicht begeistert, aber wenigstens nahm er die erste Näherungsgeste an. Drachen waren eben doch ganz simpel.

„Hör zu.“ Während Tato den Mund voll hatte, konnte er vielleicht in Ruhe sprechen und sagen, was er zu sagen hatte. „Es stimmt, dass ich es wusste, wenn Sari sich mit Edith trifft. Um ehrlich zu sein, habe ich dich auch absichtlich etwas abgelenkt. Aber eigentlich nur, damit sie sich in Ruhe klarwerden kann, ob das mit Edith etwas Ernstes ist. Sie kann ja nicht einen Jungen kennenlernen und gleichzeitig mit dir kämpfen, wenn sie nicht weiß, ob überhaupt etwas draus wird. Aber ich glaube, sie hat sich wirklich verliebt und sie hätte es dir auch gesagt, wenn der richtige Moment gekommen wäre. Ich liebe dich wirklich über alles, aber ich will mich auch nicht zwischen Sari und dir entscheiden. Sari ist für mich wie eine Schwester und ich kann sie nicht verpfeifen. Das ist nicht gegen dich gemeint, aber … ich weiß nicht wie ich das formulieren soll. Ich liebe dich wirklich und ich will, dass das zwischen uns beiden eine Zukunft hat. Ich strenge mich wirklich an, damit ich dir gewachsen bin und ich will dir auch beweisen, dass ich zu dir stehe und ehrlich zu dir bin. Aber Sari ist mir auch wichtig und ich will nicht, dass ihr Vertrauen zu mir leidet nur weil du ihr Vater bist. Ich weiß nicht, ob du das verstehst. Ich wollte dich nicht hintergehen, aber sie auch eben auch nicht. Wenn ich ein schlechtes Gefühl bei Edith hätte, hätte ich dich sofort alarmiert. Aber ich glaube, dass Edith es wirklich aufrichtig und ernst meint. Er ist kein schlechter Kerl. Deshalb habe ich nichts gesagt und …“

„Kannst du auch mal ruhig sein?“ Tato hatte seinen Kuchen schon fast aufgegessen und nichts gesagt, aber so langsam schien ihn das Gelaber zu nerven. Auch als geschwiegen wurde, beschäftigte er sich weiter mit Essen und würdigte den Spender keines Blickes.

Und Phoenix saß neben ihm, blickte die sonnenbeschienene Bettdecke an und seufzte in sich hinein. Wie konnte er es nur so erklären, damit Tato es auch verstand? Er wollte ihn nicht hintergehen, aber er machte es einem auch nicht gerade einfach, ehrlich zu sein.

Irgendwann stellte der Drache seinen Teller aufs Kopfkissen, stand auf und ging kommentarlos zum Fenster. Als Phoenix sah wie er hinausstarrte und die Fäuste ballte, fasste er den Mut und ging ihm nach. Auch er blickte hinaus und sah Edith auf der anderen Straßenseite stehen. Seine dunkelgrüne Schuluniform war zwar sauber, aber seine Turnschuhe abgenutzt und das Haar ungekämmt. Und der schwarze Rucksack hatte auch schon mal bessere Tage gesehen. Kein Wunder, dass Tato sich einen adretteren Schwiegersohn ausgesucht hätte. Doch Sareth sah diese Sachen nicht oder nicht so eng. Sie lief barfuß und lächelnd über die Straße, blieb vor ihm stehen und unterhielt. Sie wechselten erst ein paar Worte, bevor er die Hände aus den Taschen nahm und sich umarmen ließ. Und als sie sich auch noch einen kurzen, unspektakulären Kuss gaben, schnaufte Tato so laut, dass Phoenix sich erschreckte. Es fehlte nicht viel und er würde platzen. Aber er blieb einfach stehen und beobachtete wie sie um ihren Schwarm herumlief, seinen Rucksack aufzog und die Dose mit der Schleife darin verstaute. Dann nahm sie seine Hand, strahlte ihn verliebt an und spazierte von dannen. Sie war so was von deutlich verliebt, dass es schon wehtat.

„Sie hat ihm Frühstück gemacht, ja?“ stellte er grimmig fest.

„Na ja …“ Das konnte er nicht verleugnen. Tato hatte ja Augen im Kopf.

Der fragte auch nicht weiter, sondern öffnete das angekippte Fenster, lehnte sich hinaus und pfiff. Es dauerte nur wenige Sekunden da flatterte ihm auch schon sein kleiner Falke auf die Fensterbank und gab eine Tirade schneller Pfeiftöne von sich. Er freute sich, schüttelte alle Federn zur Begrüßung und knabberte an Tatos Hand. Wenigstens der hatte gute Laune.

„Kumpel, hör zu“ brummte er und kraulte seinem guten Geist das geplusterte Köpfchen. „Du fliegst den beiden jetzt nach und wenn sie Unsinn machen, hackst du dem Spasti die Augen aus. Verstanden?“

„Brrrruuuuuu!“ gurrte er und sah zu ihm hoch. Was war denn das für ein komischer Befehl?

„Ich meine es ernst. Wenn er sie angrapscht, gehst du dazwischen. Keine Gnade.“

„Krrrraaaaaa!“ Das klang nicht begeistert. Gar nicht begeistert.

„Ich kaufe dir beim Schlachter einen Kaninchenbraten ohne Fell. Deal?“

Der bunte Falke sah seinen Herren stechend an, aber plusterte sich dann dick auf und nickte mit dem Kopf auf und ab. Darauf ließ er sich ein. Es war unglaublich, aber er schien die Worte wirklich zu verstehen.

„Okay. Und lass dich von Sareth nicht bequatschen. Und du erzählst ihr nichts von unserem Gespräch.“

Nein, das würde er doch niemals tun. Er krächzte und flatterte davon, um seinen Auftrag zu erfüllen. Und natürlich um sich seinen Kaninchenbraten ohne Fell zu verdienen.

„Du schickst Laertes spionieren?“

„Nicht spionieren. Bodyguarden. Ihm kann ich wenigstens trauen.“ Er schloss das Fenster, setzte sich zurück ins Bett und widmete sich dem Rest seiner Torte.

„Warum bist du so gemein zu mir? Ich habe doch versucht, es dir zu erklären.“

„Tja … ist sich eben jeder selbst der Nächste.“

Das verletzte ihn nun mehr als alles andere. Er konnte doch seine Schwester nicht verpfeifen. Tato hätte Nini auch nie verpfiffen. Und er suchte den Fehler nicht mal bei sich und seiner übertriebenen Vaterliebe. „Weißt du was?“ Das musste er sich nicht anhören. „Du kannst ein ganz schönes Arschloch sein.“

Er zuckte mit den Schultern und kratzte den Rest Torte zusammen.

„Und ein Ignorant bist du auch.“ Er ging an den Schrank, nahm sich ein paar Klamotten heraus und blickte nicht zu ihm zurück als er zur Tür ging. Er war schon fast draußen als er Tatos leise Stimme vernahm. „Was?“ giftete er zurück. „Noch irgendwelche Beleidigungen, die du loswerden willst?“

„Sei nicht so streng mit mir.“ Er stellte den Teller weg und nahm den lauwarmen Kaffee, klopfte neben sich auf die Matratze. „Komm schon her.“

„Und dann?“

„Dann bleibst du hier.“

„Um mir noch mehr Sachen an den Kopf werfen zu lassen?“

„Nein, weil ich ein Arschloch bin. Komm schon. Lass mich hier nicht so sitzen.“

Phoenix seufzte, kam zurück und machte auch die Tür wieder zu. Die Klamotten legte er ans Fußende und setzte sich neben seinen Drachen. Jetzt war’s umgekehrt. Nun durfte Phoenix schmollen. Diskutieren war ja okay, aber auch Tato musste fair bleiben und nicht mit so verletzenden Kommentaren um sich werfen.

„Du bist echt schwierig, Asato. Weißt du das eigentlich?“

„Ich weiß … aber ich kann auch nicht aus meiner Haut. Sei nicht sauer.“

„Du wirfst mir an den Kopf, ich wäre nicht vertrauenswürdig und jeder ist sich selbst der nächste und erwartest, dass ich mir das gefallen lasse? Ich bin vielleicht ein Schwächling, aber auch Schwächlinge haben ihren Stolz.“

„Ich weiß. Jetzt schimpf mich nicht aus. Ich bin ja eigentlich gar nicht sauer auf dich.“

„Sondern?“

„Auf mich. Weil meine Tochter mir Sachen verschweigen muss. Bin ich echt so ein schlechter Vater?“

„Du bist überbehütend. Sari ist zwar deine Tochter, aber nicht dein Eigentum. Verstehst du? Anstatt ihr den Umgang zu verbieten, solltest du dich lieber mit ihr unterhalten und versuchen, sie zu verstehen. Da musst du eben mal aus deiner Haut - aber nicht aus der Haut fahren. Sonst lebt sie ihr Leben irgendwann hinter deinem Rücken. Und mich darfst du auch nicht so anfahren. Ich meine es gut mit dir, also rede mit mir und spiele nicht die beleidigte Leberwurst.“

„Ist ja gut.“ Er schaute traurig zu Boden und drehte den Becher zwischen seinen Händen. „Ich weiß ja, dass ich so bin. Aber ich kann’s nun mal nicht ändern.“

„Jetzt guck doch nicht so bedröppelt, Dicker. Wenn es dir leid tut, entschuldige dich einfach und gut ist.“

„Entschuldigung.“

„Siehst du? Ist gar nicht so schwer.“ Er rutschte zu ihm auf und legte die Arme um ihn. Tato ließ sich etwas zur Seite fallen und kuschelte seine Wange an der schmalen Brust an. Er wollte ja gar nicht so ungerecht sein, aber er war eben ein Sturkopf.

„Weißt du, Kleiner. Manchmal frage ich mich echt, wer von uns beiden in der Pubertät ist.“

„Ach, weißt du, Drache. Du kommst von der Pubertät gleich in die Midlife-Krise. Das wird nicht mehr besser mit dir.“

„Du bist ganz schön frech.“

„Tja.“ Er küsste ihn ins Haar und schmuste seinen Schmusedrachen. „Ich liebe dich trotzdem. Du Trotzkopf.“

„Ich liebe dich auch, Mr. Lolita.“

„Ey! Nenn mich nicht so!“ Er buffte ihn neckisch an die Schulter. Doch dann kuschelte er ihn auch schon wieder und küsste sein ungemachtes Haar. „Und jetzt ist wieder alles gut? Zwischen uns?“

„War doch nie schlecht.“

„Na ja.“

„Ich bin nicht mal laut geworden. Das war kein Streit. Das war … das war einfach blöde. Weißt du, ich stehe mir manchmal einfach selbst im Wege.“

„Ich weiß. Ich weiß auch wie du bist. Aber bitte zeig mir nie wieder die kalte Schulter. Kannst du das?“

„Ich versuche es“ murmelte er, rutschte herunter und bettete seinen Kopf auf Phoenix‘ Beinen. „Danke für die Torte.“

„Die hat dir natürlich geschmeckt, was?“

„Geht so.“

„Ja ja.“ Jetzt wurde er ja doch ganz anschmiegsam. Der Große schmuste sich an ihn, schloss die Augen und ließ sich den Kopf kraulen. So sanft war er selten und Phoenix merkte wie er die Nähe suchte. Er genoss es auch, sein kurzes Haar zu streicheln, seine nackten Schultern, seinen Rücken und sein entspanntes Gesicht zu beobachten. Wenn er nicht so ein cholerischer Dickkopf wäre, könnte er doch eigentlich immer so lieb sein wie jetzt. Wie ein Kätzchen, dass auf den Schoß sprang und seinem Besitzer nichts anderes schenkte als seine Anwesenheit. Drachen waren da ähnlich. Allein ihre Anwesenheit war angenehm. Wie gesagt, wenn er nicht gerade rumzickte. Aber was das anging, kannte Phoenix ihn auch schon etwas länger. Es war ja nicht das erste Mal, dass er ihn auf den Boden zurückholte. Es war nur das erste Mal, dass er es in der Rolle seines Partners tat. Auch wenn er sich im Moment mehr als Schmusemaschine fühlte.

„Asato?“ Nach einigen ruhigen Minuten tastete er sich vorsichtig heran und versuchte ihm in die Augen zu sehen. Es war vielleicht besser, das Thema anzubringen, bevor ihn seine Gefühle überkamen.

„Was denn?“ brummte er und stieß mit seinem Kopf leicht in den dünnen Bauch. „Ey, nicht aufhören.“

Er machte also lieber weiter und kraulte seinen Nacken. Wenn ihn das besänftigt hielt. „Asato, du weißt, dass morgen Vollmond ist, oder?“

„Ja, ich weiß“ brummelte er und klang nicht mehr so begeistert. „Warum fragst du?“

„Na ja … ich wollte wissen, ob du … ob du … na ja, ob du rollig wirst. Bei mir.“

„Ich liebe und begehre dich. Natürlich regen sich da gewisse Bedürfnisse. Gerade jetzt habe ich das starke Bedürfnis, dich anzufassen und dich dazu zu bringen, mich anzufassen. Mehr als nur ein bisschen Kuscheln. Du weißt, dass ich das will.“

„Dafür bist du aber ziemlich ruhig.“

„Ich habe gelernt, mich zu beherrschen. Ich habe meine Gefühle für dich ja lang genug gezähmt.“

„Nun, zähmen ist das richtige Stichwort. Ich …“ Okay, nur Mut. Er wird schon nicht gleich an die Decke gehen. „Ich möchte wirklich gern mit dir diese besondere Zeit verbringen. Ich möchte gern der einzige sein, den du willst. Aber …“

„Bevor du weitersprichst, Kleiner“ unterbrach er, nahm seine schmale Hand und küsste sie langsam und zärtlich. „Ich liebe dich sehr. In ein paar Stunden werde ich mich aber vielleicht nicht mehr so ruhig verhalten können. Ich hoffe, du bist nicht beleidigt, aber es ist mir noch zu früh. Ich liebe den Sex mit dir, aber ich bin noch nicht bereit, es auf diese Art mit dir zu tun.“

„Du bist derjenige, der sich nicht bereit fühlt?“ Das wunderte ihn nun doch sehr. Er dachte, er wäre der einzige, der sich darüber Gedanken machte.

„Ich sage es dir ganz ehrlich. Risa war bisher die einzige, zu der ich mich so hingezogen fühlte. Und es ist schwer für mich, dass diese Gefühle zu dir sehr ähnlich sind. Es sind Erinnerungen, die mich einholen und mich traurig machen. Ich liebe dich, aber diese Liebe zu dir zu fühlen, weckt auch die Sehnsucht nach ihr.“

„Das verstehe ich.“ Auch wenn es bedrückend war. Er wollte nicht, dass Tato sich schlecht fühlte und trauerte, wenn sie zusammen waren. So gern er auch der einzige sein wollte, er war es nun mal nicht. Er war nur die zweite Liebe. Risa würde immer in seinem Herzen sein und seine Liebe endete nicht mit ihrem Tod. Das musste er akzeptieren. Ebenso wie Tato es akzeptieren musste. „Wenn du möchtest, dass ich gehe, dann musst du es nur sagen. Ich weiß, dass du sie liebst und ich möchte mich nicht irgendwo reindrängen, wo ich nicht hingehöre. Auch wenn ich mir wünsche, dass du mich irgendwann genauso sehr lieben kannst.“

„Ich liebe dich sehr. Ich liebe dich auf eine andere Weise, die aber nicht weniger intensiv ist.“ Er strich über Phoenix‘ zarte Finger und und verschränkte seine Hand hinein. „Ich möchte irgendwann auch meine Leidenschaft mit dir teilen. Mich selbst mit dir teilen. Nur jetzt noch nicht. Ich brauche noch Zeit.“

Nun tat es ihm leid. Er hatte nur daran gedacht, wie er sich selbst dabei fühlen würde. Wie es wäre, wenn der Drache über ihn herfiel und seine Leidenschaft kein Ende fand. Er hatte aber nicht einen Augenblick daran gedacht, was Tato dabei fühlen würde. Dass es auch für ihn nicht leicht war, sich zu öffnen und sich einem anderen völlig hinzugeben. Da war mehr im Spiel als nur sexuelle Lust. Es war ein großes Sammelsurium von Gefühlen.

„Es tut mir leid, Spätzchen.“

„Das ist in Ordnung. Wirklich. Es tut mir leid, dass ich gedacht habe, ich sei der einzige, der darüber nachdenkt. Wirklich … es tut mir leid, dass ich hier nur an mich gedacht habe.“

„Hast du?“

„Ja, habe ich. Ich wusste nicht, wie ich dir sagen sollte, dass ich mich noch nicht reif genug fühle. Dass ich mich dir noch nicht gewachsen fühle. Aber ich habe nicht daran gedacht, was du fühlst. Und das tut mir jetzt ziemlich leid.“

„Muss es nicht, Kleiner.“ Er küsste die zarte Hand und hielt seine Stirn eng daran gepresst. „Ich weiß, dass ich manchmal übers Ziel hinausschieße oder Signale falsch deute. Risa kannte mich gut und wusste, wie sie mit meinem Drängen umgehen musste. Ich habe ihr vertraut und konnte mich bedenkenlos fallen lassen. Ich wusste, sie achtet darauf, dass ich weder sie noch mich verletze. Aber auch bei ihr hat es gedauert bis ich mir sicher war. Weißt du, es ist auch für mich nicht leicht, wenn das mit mir geschieht. Wenn man mich so meinen Gefühlen ausgeliefert sieht. Ich tue vielleicht Dinge, die ich normalerweise nicht tue. Dinge, für die ich mich vielleicht entschuldigen muss.“

„Das ist nicht schlimm für mich. Ich weiß, dass das nicht absichtlich mit dir passiert“ tröstete er und kraulte sein kurzes Haar. „Du bist als starker Magier den spirituellen Energien eben mehr ausgeliefert als normale Menschen. Du hast dir das nicht ausgesucht. Ich verspreche dir aber, dass du dich dafür nicht schämen musst. Wirklich nicht.“

„Das ist lieb von dir. Ich will aber nicht, dass du Angst vor mir bekommst und ich will nicht, dass ich aus Versehen jemanden verletze. Bitte sei mir nicht böse, aber ich bin noch nicht bereit, mich dir hinzugeben. Vielleicht in ein paar Monaten. Aber jetzt noch nicht.“

„Dann bittest du mich, dass ich gehe?“

„Jetzt noch nicht“ flüsterte er und küsste seine Hand, schmiegte sein Gesicht in die Handfläche. „Ich will noch mit dir zusammensein. Ich will in deinen Armen liegen und dir nahe sein. So lange wie es geht. Ich liege gern bei dir und spüre dich. Deine Hände, wenn sie mich streicheln. Und dein warmer Atem, wenn du mich küsst. Aber wenn es zu stark wird, solltest du mich besser allein lassen. Bevor sich meine Instinkte über meine Beherrschung stellen. Ich will jetzt keinen Sex … ich möchte einfach nur in deinen Armen liegen. Kannst du das verstehen?“

„Ich bin froh, dass du mir das sagst.“ Er beugte sich herab und kam seinem Gesicht ganz nahe. Er küsste seine Schläfe und legte den Kopf auf seine Schulter. „Ich bin froh, wenn wir uns noch etwas Zeit lassen. Ich möchte bei dir sein so lange wie du es aushältst. Und wenn du merkst, dass es zu viel wird, dann schick mich weg. Okay?“

„Geh lieber selbst, wenn du das Gefühl bekommst, dass ich zudringlich werde“ bat er beschämt. „Ich kann nicht garantieren, dass ich den Moment erkenne. Ich verspreche dir aber, dass ich dich dann auch gehen lasse.“

„In Ordnung.“

„Versprichst du mir im Gegenzug auch etwas?“

„Natürlich, Dicker. Alles, was du willst.“

„Wenn ich wieder aufwache, bringst du mir dann wieder Torte ans Bett?“

„Ist das deine einzige Sorge?“

„Im Moment schon …“

„Ihr Drachen seid so berechenbar“ lachte er erleichtert. Dieses Thema zu klären, war einfacher als gedacht. Und er war einiges an Wissen und Sicherheit reicher. Tato war häufig egoistisch und ungerecht und auch ein wenig verschlossen. Aber er sprach über seine Gefühle, wenn er den Moment gekommen sah. Er öffnete sich, wenn er sich sicher fühlte. Er wollte, dass Phoenix seinem Herzen nahe kam. Doch in einem Tempo, welches für beide gut war. Tato war ehrlich und das machte es leichter. Für beide.
 


 

Chapter 23
 

Der tägliche Besuch im Aquarium weckte heute endlich wieder positive Gefühle. Als Seto und Sethan hereinkamen, sahen sie wie Tristan, Balthasar und Narla Möbel aufbauten. Einen niedrigen Tisch und darum eine dreischenklige Polsterecke. Die breite Sitzfläche reichte auch zum Liegen und Schlafen und auf die flachen Lehnen konnte man sowohl Arme als auch Kopf stützen. Das war wirklich etwas anderes als die Luftmatten, Feldbetten und kleineren Sofas, die sie provisorisch hingestellt hatten. Schlaf hatte hier ohnehin kaum jemand gefunden und gemütlich wollte es sich niemand machen, solange Sethos dem Tode entgegentrieb. Eigentlich war das Aquarium auch kein Wohnzimmer, doch jetzt sah es allmählich danach aus.

Wichtig war jedoch, dass sich dies nun alles für Sethos lohnte. Der schwamm schon wieder fleißig herum und bewegte seine schweren Glieder. Die Fischleichen hatte man mittlerweile entfernt, sodass er das einzig noch lebende Exemplar war, welches nun wie ein Walhai seine langsamen Runden durch das Wasser pflügte. Sogar seine Flügel hatte er wieder eingezogen, sodass er fast aussah wie ein Neck, den man gefangen hielt. Seto sah ihn kurz herüberblicken und nickte zurück, bevor Sethos sich abwand, um die Ecke schwamm und kurz verschwand, bevor er auf der Rückbahn etwas weiter oben wieder erschien. Normalerweise durchquerte er ganze Ozeane und selbst in diesem riesigen Becken wirkte er irgendwie deplatziert. Lange würde er es dort auch nicht mehr aushalten. Einen Drachen wie ihn konnte man nicht einsperren.

„Na, hier sieht’s ja wohnlich aus“ meinte Seto und machte sich bemerkbar. Da die große Tür weit offenstand und Licht hereinließ, merkte man nicht wenn jemand hineinkam.

„Ist ja nicht für ewig“ meinte Tristan und zog die Schrauben an dem kleinen Holztisch fest. „Tag ihr beiden.“

„Tag“ grüßte Sethan zurück, während Seto sofort in die hinterste Ecke ging. Dort stand nämlich der Kinderwagen mit der kleinen Joey drin, die er noch vor allen anderen begrüßen musste. „Wo ist denn Amun-Re?“

„Der bringt mit Nikolas den Müll raus“ zeigte Narla und schmiss ein paar Kissen auf die riesige Sitzecke. Dann erst bemerkte sie mit großen Augen: „Sethan! Was ist mit deinen Haaren passiert?“

„Warum? Ist es so schlimm?“ Aus seinem langen, blonden Zopf war eine pflegeleichte Kurzhaarfrisur geworden. An den Seiten abgeschoren und der breite Streifen in der Mitte mit etwas Liebe und Haarschaum nach hinten gelegt. Nur der lange Pony fiel zu einer Seite herunter bis hinters Ohr. Er strich sich die Strähnen zurück und befürchtete eine schlechte Kritik.

„Nein! Sieht super aus!“ Narla lief sogleich herbei und besah sich das Ganze aus der Nähe. „Das ist ja ne echte Designerfrisur.“

„Meinst du?“

„Ja, wirklich. Du siehst gleich viel jünger und hipper aus. Nicht mehr so weibisch.“

„Du hast mich vorher weibisch gefunden?“

„Wenn ich das jetzt so vergleiche ja. Aber du siehst toll aus.“

„Und meine neue Frisur sieht keiner, ja?“ meckerte Seto aus der Ecke. Klein Joey schlief ja gar nicht, also hatte er sie auch schon auf dem Arm. Doch auch die interessierte sich nur für Papas Zottelmähne und nicht für andere Frisuren.

„Doch, du siehst auch super aus“ bestätigte Narla sofort. „Aber du hast ja dieselbe Frisur, die du immer trägst. Da fällt das nicht so auf.“

„Super! Da kann ich eineinhalb Meter Haar abschneiden und keiner merkt was. Vielleicht sollte ich sie mal pink färben, damit ich jemandem auffalle.“

„Seto, mein Drachenschätzchen“ lächelte sie ihn liebevoll an. „Möchtest du denn überhaupt auffallen?“

Das wollte er natürlich nicht. Er war jemand, der gern unbemerkt blieb und am liebsten irgendwo in einer stillen Ecke stand. Eine unauffällige Frisur war also sogar seine Absicht. Und weil ihm nicht einfiel, wie er sich da rausreden sollte, sagte er einfach „Ach, lass mich doch in Ruhe“ und widmete sich wieder dem quietschenden Mädchen auf seinem Arm.

„Hey, ihr seid ja schon da!“ Amun-Re freute sich und ging sofort zu Sethan, um ihn in den Arm zu nehmen. „Sethan, super siehst du aus!“

„Danke.“

„Amun“ tippte Narla ihn an und wies auf Seto.

„Und du natürlich auch, Eraseus!“

Von Seto kam nur ein undefinierbares Murmeln. Er stellte sich mit der Kleinen zu Sethos an die Scheibe und ließ sie reinschauen. Mit ihr unterhielt er sich bei weitem lieber. Auf ihr „Bu bu bu“ und „Wa wa wa“ antwortete er mit liebevollem „Ja, was ist denn da?“ und „Guck mal das Wasser. Guck mal da oben die Wellen“. Das konnte er jetzt stundenlang so weitermachen. Gab man ihm ein Baby war er selig.

„Und? Sind wir jetzt fertig?“ fragte Nika und zog sich die Bauarbeiterhandschuhe aus. Wenn man es nicht besser wüsste, würde sie heute als überzeugtes Mannsbild durchgehen. Turnschuhe, Jeans und schwarzes Muskelshirt. Mit ihrem Körper konnte sie sich sehen lassen. Doch wahrscheinlich lag es eher daran, dass es keine anderen Klamotten für sie gab und die Sachen hauptsächlich von Noah und Balthasar geliehen waren. Selbst einzukaufen, würde bedeuten, diesen Zustand auf längere Zeit zu planen - und das hatte sie noch nicht über sich gebracht. Und da heute Bauarbeiten auf dem Plan standen, war Balthasars Kleidung nur praktisch.

„Mal sehen“ antwortete Tristan und steckte das Werkzeug in den Kasten. „Wir haben die Polsterecke aufgebaut, den Tisch und den Kühlschrank in der Küche ausgetauscht. Habt ihr die Sachen im Container fertig verstaut?“

„Ja, alles“ seufzte sie und steckte die Hände in die Hintertaschen. „Die Umverpackung, die alten Möbel und den Bauschutt. Nur den Kühlschrank haben wir so stehen lassen.“

„Dann können wir nachher alles abholen lassen.“

„Bauschutt?“ fragte Seto verwundert. „Woher habt ihr denn Bauschutt?“

„Wir haben heute Morgen ein Fenster eingebaut“ wies Tristan hinter sich. Ein Fenster war dort nicht zu sehen, aber ein dicker, schwarzer Vorhang über etwa zwei Meter Länge.

„Und warum ist das abgehängt?“

„Weil vorhin der Glaser draußen war und die Arbeit abgenommen hat. Wir wollten nicht, dass er reinschauen kann.“ Und es war natürlich einfacher, das Fenster abzuhängen als das ganze Aquarium zu verstecken.

„Eigentlich haben Tristan und Nikolas die Arbeit gemacht“ erklärte Narla. „Balthasar und ich konnten nur handlangern.“

„Hat eben auch gute Seiten, wenn man kräftig ist“ versuchte Nika sich selbst zu trösten und etwas Optimismus an den Tag zu legen.

„Ich finde das ganz lieb von euch“ dankte Amun-Re und verbeugte sich vor seinen Helfern. „Ihr schleppt Möbel und baut Fenster in massive Wände und das nur, damit kein Fremder eintritt und mein Priester wieder gesund wird. Danke.“

„Ist doch selbstverständlich“ meinte Tristan. „Wenn Sethos wieder rauskommt, muss er es doch einigermaßen wohnlich haben.“

„Und die heilende Wirkung von Tageslicht auf Drachen ist auch nicht zu unterschätzen“ ergänzte Narla. Deshalb wahrscheinlich das Fenster nahe der Polsterecke. „Wir haben nur Glück, dass Tristan unser Heimwerkerkönig ist.“

„Unsinn. Ich kann nur Baupläne und Anleitungen lesen. Mehr nicht.“ Er stellte die Werkzeugkiste in die Ecke und dehnte seinen Rücken. „Aber um ehrlich zu sein, möchte ich kein Bauarbeiter werden.“

„Warum?“ lachte Amun-Re fröhlich. „Wände kaputtkloppen macht doch Spaß.“

„Ja schon. Aber das Steineschleppen nicht.“

„Steineschleppen?“

„Du weißt schon, Amun“ erinnerte Narla schmunzelnd. „Das war der Zeitpunkt, wo du ganz dringend beten gehen musstest.“

„Das sind wichtige Geschäftskontakte! Eraseus, du verstehst das doch, oder?“

„Darf ich mal gucken?“ Der interessierte sich viel mehr für die Arbeit an sich. Nach Tristans Okay schob er den Vorhang beiseite, löste ein Stück Klebeband und besah sich das neue Fenster. Vorsichtig fuhr er die Silikonschicht nach und blickte nach oben.

„Und was sagt der Fachmann?“

„Gute Arbeit“ nickte er, schloss den Vorhang und gab seinen Finger wieder zum Lutschen her. „Das hat Tristan gut gemacht, nicht wahr Hönigtöpfchen? Dann kann Sethos bald schön in der Sonne liegen und gesund werden. Hm?“ Und sie war voll und ganz seiner Meinung. Ganz bestimmt.

„Okay. Jetzt muss Sethos da nur noch rauskommen. Ich habe sogar extra große Handtücher gekauft.“ Narla ging an die Plastiktüten, welche nahe der Tür geparkt waren und packte ein großes, weißes Zweimetertuch aus. „Also, es war verdammt schwer, so große Strandtücher zu bekommen und wenn das nicht reicht, dann weiß ich auch nicht. Und Klamotten haben wir auch mitgebracht.“

„Das wird bestimmt bald etwas“ versprach Amun-Re und lächelte über seine Schulter zurück. „Nicht wahr, Darling?“

„Wann wissen wir denn den Moment, wenn er wieder aus dem Wasser kommen darf?“ fragte Nika und beobachtete die hypnotischen Bahnen, mit welchen Sethos Mal um Mal die Länge des Beckens durchquerte. „Das Gegengift ist jetzt schon seit fünf Tagen drin und seit gestern kann er wieder schwimmen …“

„Ich denke, das muss er selbst wissen“ mutmaßte Amun-Re. „Wenn er sich bereit fühlt, wieder an Land zu kommen, soll er es versuchen. Und wenn er sich schwach fühlt, kann er wieder ins Wasser zurück. Und solange bleibe ich bei ihm. Was ist denn?“ Sethos hatte seine Bahnen gestoppt und schwebte fast bewegungslos im Wasser, nur sein langes Haar breitete sich in der seichten Strömung aus. Er blickte mit großen, blauen Augen zu ihnen herüber und schien überrascht. „Darling, was ist denn?“

Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck von Überraschung zu einer leichten Verärgerung. Er machte eine Geste von sich weg und schien über irgendetwas nicht sonderlich begeistert.

„Seto?“ bat Sethan freundlich. „Könntest du uns das bitte übersetzen?“

„Er scheint das nicht gewusst zu haben“ erzählte der ganz neutral. „Sethos meint, es wäre zu nett gewesen, wenn ihm das auch mal jemand gesagt hätte.“

„Aber wir haben doch mit Sachmet gesprochen heute Morgen“ rechtfertigte sich Amun-Re. „Sie war diejenige, die gesagt hat, er darf rauskommen so wie es sein Empfinden zulässt. Was meint er denn, weshalb wir hier den ganzen Auftrieb machen? Doch nur damit er zwischen Sofa und Wasser pendeln kann wie er es braucht. Genau wie meine Göttin es angeordnet hat.“

„Da hat er aber geschlafen“ wandte Seto ein. „Und wenn er schläft, kannst du noch so viel mit ihm sprechen. Wenn er schläft, dann schläft er. Das weißt du doch.“

„Ich dachte, das hättest du mitbekommen.“ Er ging bis zur Scheibe und legte entschuldigend seine Hand darauf. „Ich dachte, du hättest Sachmet wahrgenommen, weil dir sonst auch keine Anwesenheit entgeht. Auch nicht, wenn du schläfst.“

„Im Moment ist sein Schlaf aber zu tief, Amun-Re.“ Auch wenn Seto das taktvoll übersetzte, sagte das Augenverdrehen von Sethos alles. Da hatten er und sein Gott wohl eine ihrer Kommunikationsstörungen.

„Dann bedeutet das, du möchtest jetzt schon aus dem Wasser gehen? Schaffst du das denn, Darling?“

Sethos zuckte mit den Schultern. Das konnte er doch nicht wissen, bevor er es versucht hatte.

„Wenn du es versuchen möchtest, helfe ich dir“ bot Seto an. „Wenn ich darf.“

Sethos gab sich einen Stoß und schwamm an die Oberfläche. Mit Seto verlief die Kommunikation wesentlich einfacher als mit einem Gott.

Die kleine Joey wanderte wieder zu ihrer Mama und ihr Seto musste sich um anderes kümmern. Da konnte sie ihm und seinem Nuckelfinger noch so sehnsuchtsvoll nachblicken und ihre Ärmchen ausstrecken. Und als alles nichts half, begann sie eben zu schreien. „WHÄÄÄÄÄÄÄ!!!“ So ging das doch nicht! ER KONNTE DOCH NICHT EINFACH WEGGEHEN UND DEN NUCKELFINGER MITNEHMEN!!!

„Du bist genauso ein Dickkopf wie dein Vater“ seufzte Narla und ging mit ihr hinaus. Wenn Sethos aus dem Wasser kam, wollte er sicher nicht von einem kreischenden Baby begrüßt werden.
 

Seto ging durch die Seitentür, zu welcher Amun-Re bereits gelaufen war. Dort führte eine schmale Stahltreppe hinauf zu der Wasseroberfläche. Diente eigentlich dazu, um von oben Futter ins Haibecken zu werfen und die Maschinen zu überprüfen, aber man konnte auch Leute ins Becken einlassen und wieder rausholen. Normalerweise waren das Taucher, welche die Algen entfernten. Jetzt war es eben ein kranker Drache. Glücklicherweise war der starke Geruch nach Verwesung und altem Fisch verflogen, seitdem man die toten Tiere aus dem Becken gefischt und entsorgt hatte.

Als die beiden oben ankamen, sahen sie, dass Sethos bereits den Kopf herausgesteckt hatte. Mit seinen Armen stützte er sich auf den Boden der Plattform und atmete mit vorsichtigen, flachen Atemzügen. Es fiel ihm sichtlich schwer, seine Atmungsweise zu ändern. Seine Kiemen waren unversehrt, doch seine Lungen mussten noch heilen.

„Hey, du bist ja schon dabei!“ Amun-Re kniete sich zu ihm hinunter und legte vorsichtig die Hand auf seinen nassen Arm. „Es tut so gut, dich wieder zu berühren. Wie fühlst du dich?“

Sethos wollte antworten, doch schon nach dem ersten Ton folgte ein feuchter Husten, der seinen geschwächten Körper schüttelte und einige geronnene Blutstücke aus der Luftröhre spülte. Er konnte sich nicht festhalten und rutschte zurück ins Wasser.

„Ganz ruhig. Lass dir Zeit. Du bist noch zu schwach!“ Und sein Liebster fieberte mit ihm. Es war das einzige, was er tun konnte. So gern er ihm helfen würde, er konnte ihm nur gut zureden.

Sethos beruhigte sich langsam, atmete etwas Wasser und kam dann erneut zum Rande der Plattform. Er stützte sich auf die Unterarme und streckte behutsam den Kopf heraus. Amun-Re legte ihm die Hände auf die Schultern und stand ihm bei, soweit es möglich war. Der Priester normalisierte seinen rasselnden Atem mit vorsichtigen Zügen. Er winkte ab und griff dann nach Amun-Res Hand. Wer hier wen beruhigte, war irgendwie nicht mehr zu erkennen.

„Bist du dir sicher?“ fragte Seto und kniete sich neben die beiden. „Vielleicht solltest du noch etwas im Wasser bleiben. An Land ist dein Körper doch viel schwerfälliger. Und atmen kannst du auch kaum.“

Sethos schüttelte den Kopf und Seto seufzte. Da konnte man nichts machen. Was der Oberdrache wollte, das wollte er nun mal. Keine Diskussion.

„Seto?“ rief Tristan und erschien unten auf der Treppe. „Braucht ihr Handtücher?“

„Noch nicht. Aber du kannst mal raufkommen und mir helfen, Sethos aus dem Wasser zu heben.“

„Warum benutzt du keine Magie und lässt ihn schweben?“

„Weil ich jetzt keine Magie in Verbindung mit Wasser benutzen will!“ schimpfte er zurück. „Dann bleib eben unten und lass es bleiben!“

„Nein, ich komme ja schon.“

Er wäre auch die Treppe raufgestiegen, wenn nicht Nika sich an ihm vorbeigequetscht hätte. „Lass mich. Du hast doch schon Rückenschmerzen.“ Außerdem war sie im Augenblick kräftiger als er und kam geschwind die Treppen hinaufgesprungen. „Oder magst du es nicht, wenn ich dich anfasse, Sethos?“

Um keinen neuen Husten zu provozieren, antwortete er zwar nicht, doch er griff ihren männlichen Arm und sagte damit genug.

„Okay. Du links, ich rechts und Amun-Re geht schon mal runter“ beschloss Seto und kletterte an dem vorbei, um auf die richtige Seite zu kommen.

„Aber seid zärtlich zu meinem Darling, ja?“

Sethos hauchte irgendetwas, was aber nur Seto verstand. „Du sagst es. Also los.“

„Wie machen wir das jetzt?“ fragte Nika vorsichtshalber. Schließlich wollte sie an Sethos ja nichts kaputtmachen.

„Du nimmst seinen Arm und hängst ihn dir über die Schulter. Dann ziehst du ihn mit rauf. Aber pass auf, dass du seine Brust nicht quetschst.“

„Warum muss Tristan auch Rückenschmerzen haben? Sethos, du schreist, wenn dir was wehtut, ja?“

„Thue hich nhichth“ keuchte er und senkte den Kopf. Die Blöße würde er sich nicht geben.

„Sethos hält Schmerzen aus. Also los jetzt.“ Seto griff den einen Arm und Nika tat es ihm auf der anderen Seite gleich. „Auf drei. Eins, zwei …“

Bei drei hoben sie den schweren Brocken gemeinsam in die Höhe. Sethos hatte zwar viel an Gewicht verloren, sein Körper schwach und ausgezehrt, doch sein langes Haar war vollgesogen mit Wasser, was das ganze Unterfangen erschwerte. Mit zwei so kräftigen Männern war er jedoch schnell aus dem Wasser raus und hing wie ein nasser Sack. Er konnte zwar seine Füße auf den Boden stellen, doch sein eigenes Gewicht nicht aufrecht halten. Ohne Hilfe würde er sofort zusammenbrechen. Sein Atem stockte bereits und war von einigen Hustern durchzogen.

„Geht’s?“ fragte Seto und legte den freien Arm um seine Hüfte. Wobei er darauf achtete, nicht die empfindlichen Kiemen zu berühren, welche sich nicht so schnell schlossen. „Wenn du nicht atmen kannst, versuchen wir es später noch mal.“

„Hnheihn“ atmete er tief. Er hielt sich aufrecht so gut er konnte. „Dhas Whassher sthinkth.“

„Da sagst du was.“

„Findet ihr?“ Nika schnüffelte in die Luft, doch es roch ganz normal nach salzigem Meerwasser und okay, einem kleinen bisschen Fisch. Doch lange nicht mehr so schlimm wie vor dem Anwendung des Antidots. Der angebliche Gestank stach wohl nur noch in empfindlicheren Nasen.

„Ich gehe vor. Du passt auf, dass er dir nicht aus dem Arm rutscht.“ Seto trat den Weg die Treppe hinunter an und stützte den schweren Körper. Nika trug dadurch weniger Gewicht und passte mehr auf, dass ihre teure Fracht nicht herunterfiel. Gemeinsam hievten sie ihn langsam aber dafür sicher die Stahltreppen bis in die Halle, wo Amun-Re bereits mit Handtüchern wartete.

„Damit du nicht frierst.“ Und schon hängte er Sethos das große Tuch über. Doch der schien ganz andere Probleme zu haben. Er würgte, verkrampfte seinen Bauch und atmete, presste die Lippen zusammen. Er kämpfte mit einem starken Brechreiz, der seinen Körper schüttelte. „Alles in Ordnung, Darling? Kann ich etwas für dich tun? Brauchst du etwas? Eraseus, was hat er?“

„Es ist der Gestank. Das Wasser riecht furchtbar. Nach Verwesung“ antwortete er und griff etwas kräftiger um den würgenden Körper. „Nikolas, lass ihn los. Ich kann ihn allein halten.“

„Aber …“ Doch sie rief sich ins Gedächtnis, dass Seto schon wusste, was er tat. Er war der einzige, der wirklich wusste, was Sethos brauchte. Also ließ sie ihn los und Seto lehnte den nassen Drachen gegen sich, hielt ihn allein fest. Sicher könnte er ihn auch wie eine Prinzessin auf dem Arm tragen, doch das würde Sethos nicht wollen. Es war bereits demütigend genug, dass er sich an Land nicht selbstständig bewegen konnte.

„Wir gehen den schlechten Geruch abduschen. Dann geht es dir gleich besser.“

Sethos nickte und ließ sich von Seto zu einer seitlichen Tür schleifen. Diese führte zu einem Waschraum mit einer Mehrpersonendusche. Für gewöhnlich wuschen sich hier die Algentaucher das Salz von den Neoprenanzügen, aber nun standen Pflegeartikel um die Waschbecken, es hingen Handtücher herum und sogar eine Duschbrause war installiert. Man hatte sich hier so gut es ging eingerichtet.

„Ich dachte mir, vielleicht braucht ihr den.“ Tristan erschien einige Sekunden später mit einem schlichten Plastikstuhl und stellte ihn in die Mitte der drei Duschen. Stehen konnte Sethos nicht und ihn auf den Boden zu legen, wäre ihm auch nicht angenehm. „Ich hatte mal eine Oma, die war pflegebedürftig und die hat auch immer einen Hocker in der Dusche gehabt“ erklärte er auf das wundernde Schweigen.

„Ist okay. Danke.“ Seto setzte Sethos vorsichtig ab, Amun-Re hielt ihn an den Schultern gerade bis sein Liebster wieder zu Atem kam.

„Ist doch in Ordnung für dich, wenn ich hier bleibe, oder?“

Wieder nickte er und wehrte sich nicht. Es blieb ihm ja nichts anderes übrig, wenn er den üblen Verwesungsgestank loswerden wollte.

„Okay, wir gehen dann“ meinte Tristan und ließ die beiden mit dem bangenden Amun-Re allein. „Wenn ihr Hilfe braucht, dann ruft ihr einfach.“

„Machen wir. Bitte mach die Tür zu.“

Tristan schloss die Tür wie gewünscht, aber möglichst leise. Seto zog sich die Schuhe und die Strümpfe aus, dann das Hemd um nicht ganz nass zu werden. Amun-Re lief ohnehin in Latschen herum, die er problemlos in die Ecke kickte. Dann knieten sich beide zu Sethos, der schlaff auf seinem Stuhl hing und immer jemanden brauchte, der ihn festhielt und nicht vom Stuhl kippen ließ.

Seto griff die Duschbrause und wärmte das Wasser an, damit es angenehm war. Amun-Re verteilte vorsichtig etwas Duschgel auf den knochigen Schultern und ließ sich von Seto das Shampoo reichen.

„Eraseus, wir müssen aufpassen, dass keine Seife in seine Kiemen kommt“ bat er und massierte mit sanften Händen sein langes Haar von der Kopfhaut herab.

„Schon okay. Wir sind vorsichtig.“

„Und du machst dich bemerkbar, wenn du Schmerzen hast“ sagte Amun-Re mit ernster Stimme. „Keine falsche Tapferkeit. Ja?“

„Jha dhoch“ seufzte er und versuchte seinen Arm zu heben. Doch er schaffte es gerade bis zum Bauch, bevor er aufgeben musste. An Land war sein Körper einfach zu schwer. Er schloss seine Augen und versuchte nur tief zu atmen. Nicht aus Genuss, sondern eher weil ihm das hier sehr unangenehm war. Dass sich ein stolzes und erhabenes Wesen wie er waschen lassen musste - nicht wollte, sondern musste - das nagte an seinem gekränkten Ego.

„Du kannst stolz sein, dass du überhaupt überlebt hast“ meinte Seto und löste das stinkende Lendentuch. „Amun-Re.“

„Ja, wir tauschen.“ Diese Stellen sollte doch lieber jemand übernehmen, der ihn dort schon öfter berührt hatte. Seto übernahm da eher den aufwendigen Job und spülte sein Haar durch bis es wieder einen schönen Duft annahm. Sein sonst seidig glänzendes und festes Haar war nun zerrupft und stumpf. Der Kampf und das ätzende Gift hatte ihm teilweise einen ganzen Meter Strähnen herausgetrennt, sogar ganze Büschel waren herausgerissen oder einfach ausgefallen. Am Hinterkopf prangte eine Wunde, welche mit zarter, rosaner Haut überzogen war. Dort würde so schnell wohl gar kein Haar mehr wachsen.

Und Sethos verharrte bewegungslos auf dem Plastikstuhl, während die anderen beiden ihn behutsam wuschen und den Gestank der Verwesung fortnahmen. Seine Würde konnte er heute nicht mehr wiederherstellen und wohl auch in den nächsten Tagen nicht.

„Es ist das erste Mal seit Jahrtausenden, dass du so schwach bist“ sprach Amun-Re mit sanfter Stimme und schäumte die langen, geschundenen Beine. „Nicht seit …“

„Hich wheiß“ atmete er und hielt den Kopf gesenkt. Als sein Vater ihn verflucht hatte, war es ihm ähnlich schlecht gegangen. Seitdem waren seine Ohren empfindsam, weil er die Worte seines Vaters nicht gehört hatte. Seitdem waren seine Knöchel verletzlich, weil er seinem Vater davongelaufen war. Seitdem war seine Brust ein großer, wunder Punkt, weil sein Herz seinen Schöpfer betrog.

Und insgeheim zweifelte er daran, ob sein Vater ihn auch ohne Gegenleistung errettet hätte. Er ahnte, ohne Amun-Res Opfer wäre er auf unwürdigste Weise verendet. Er wollte ihm so gern sagen, dass er ihn liebte, dass er dankbar war, doch seine Lungen waren zu schwach und eine schwere Schwärze senkte sich in diesem Augenblick über ihn …
 


 

Chapter 24
 

Es vergingen ein paar Tage, die glücklicherweise sehr ereignislos waren. Sethos war langsam wieder ansprechbar, Seto machte sich im Büro nützlich, die Kinder gingen in den Kindergarten, die Frauen hatten ein neues Hobby: Babysachen shoppen, Yami schleppte den armen Finn auf jede Party, die im Blekinger Tageblatt angekündigt wurde und auch der Rest genoss den Sommer auf seine Weise.

Nur für eine hielten die nächsten Stunden einen Genuss deluxe bereit.

Die Überraschung war groß als ein Kuriertransporter vor dem Hotel hielt. Es war Nachmittag und eigentlich empfing Hannes seine Ware eher nach dem Frühstück, wenn nur wenige Gäste das Restaurant besuchten . Doch um diese Uhrzeit war die Gaststätte zur Eis- und Kuchensaison gut besucht und die Truppe hatte bereits vor zwei Stunden die besten Plätze auf der Terrasse besetzt. Mal ganz davon abgesehen, dass dieser Kurier eher nach Post- als nach Großmarktlieferant aussah.

Noch größer war die Überraschung, als der Liefermann mit einem sperrigen, flachen Paket, welches ein wenig aussah wie die Schachtel einer Familienpizza, gezielt auf die Gäste zuging und ins Blaue fragte: „Mrs. Gardener?“

„Ich?“ Tea bekam Ware? Sie legte Dakar bauchlängs auf ihren Arm und stand auf, um sich zu melden. „Ich habe aber gar nichts bestellt“ sagte sie verwirrt als der Kurier das Paket auf den Tisch legte und einen kleines Computerpad aus der Umhängetasche seines Gürtels zog.

„Ist bereits alles bezahlt“ antwortete er und hielt ihr einen Plastikstick und das Display hin. „Wenn Sie bitte hier unterschreiben?“

„Vom wem kommt denn das?“ Wenigstens das hatte sie von ihrer Mutter, der Rechtsanwältin, gelernt: Unterschreibe niemals, wenn du nicht genau weißt, was die Folgen sein werden.

„Georginnia de Feveren“ las Narla neugierig auf dem Paket, welches ungewöhnlich hochwertig aufgemacht war. Also eine Familienpizza für Superreiche. Dicker, dunkelblauer Riffelkarton und eine beschriftete Goldschleife. So etwas konnte man wirklich nicht mit schnöder Post schicken.

„Das ist der Modeladen in der Stadt“ erklärte Marie sofort. „Tea, da sind wir neulich noch dran vorbei gegangen. Als wir Babysachen kaufen waren.“

„Ach, der.“ Jetzt dämmerte es ihr. „Aber wir waren nicht mal drin. Warum bekomme ich jetzt ein Paket von da?“

„Gute Frau“ bat der Kurier und blickte kritisch auf seine Uhr. „Unterschreiben Sie doch einfach und wenn es eine Falschlieferung ist, senden Sie es danach wieder zurück.“ Er musste noch weiter, Zeit war Geld.

„Na gut.“ Sie unterschrieb also auf dem Pad und wünschte dem Kurier einen schönen Tag, bevor sie sich der unbekannten Sendung zuwandte.

„Was ist da drin?“ nervte Yami und untersuchte bereits neugierig die dicke Schleife mit der eingestickten Schrift. Er schüttelte es und horchte aufmerksam. „Es tickt nicht, also ist es keine Briefbombe. Vielleicht sexy Unterwäsche.“

„Unsinn, wer sollte mir denn Unterwäsche schicken?“ Sie gab Dakar direkt an Marie zur Aufbewahrung und machte sich daran, das Band zu lösen. Schnell hatte sie auch den feinen Karton gelüpft und atmete tief ein. „Das gibt’s doch nicht.“

„Was denn? TEA!“ Yami hasste es, wenn er nicht sofort aufgeklärt wurde! Rätsel konnte er einfach nicht ungelöst lassen.

Sie legte den Deckel zur Seite und hob mit aller Vorsicht ein Kleid heraus. Es war aus königsblauer Seide und schlug am Saum elegante Wellen. Arm- und rückenfrei und an der Brust enger genäht. Sicher nicht gerade ein Werbegeschenk.

„Mrs. Gardener. Ich noch mal.“ Da war der Kurier schon wieder da, bevor er überhaupt mit dem Lieferwagen wegfahren konnte. Und er und stellte ihr noch einen Karton auf den Tisch. Doch dieses Mal kleiner, dafür höher. Die passende Ladung Muffins zur Familienpizza. „Wenn Sie hier noch mal unterschreiben würden?“

Wortlos, aber mit großen Augen legte sie das Kleid zurück und unterschrieb ihm auch den zweiten Teil. „Sie wissen nicht zufällig, warum ich ein Kleid geliefert bekomme?“

„Nein, nicht wirklich.“ Er tippte auf seinem Display herum, aber schien selbst ahnungslos. „Ich habe nur Anweisung, Ihnen das persönlich zu übergeben. Und zwar zwischen halb drei und vier Uhr. Und den Hinweis, dass Sie wahrscheinlich auf der Terrasse sitzen. Die Versandkosten werden dem Absender berechnet.“

„Aha …“ Nicht wirklich aufschlussreich. „Wer ist denn der Absender?“

„Gute Frau, wenn Sie Probleme haben, rufen Sie einfach die Nummer auf der Rückseite an“ sagte er und gab ihr einen Zettel. „Dann komme ich heute Abend noch mal und hole die Sachen wieder ab. Kostenfrei natürlich.“

„Okay … danke.“

„Tea, mach auf!“ Aufgeregt hielt Yami ihr das zweite Päckchen hin, doch bemerkte bei einem Seitenblick: „Yugi, was grinst du so hämisch?“

„Nichts“ schmunzelte er und spielte verräterisch an seinem Strohhalm. „Mach auf, Tea.“

„Ist das von dir?“

„Yugi schenkt dir Unterwäsche?“

„Yami“ guckten sie ihn beide mahnend an. Er übertrieb es mal wieder.

„Yugi, ist das Paket jetzt von dir?“

„Quatsch. Warum sollte ich dir Klamotten schenken?“

„Aber du hast vorhin schon sehr darauf bestanden, dass wir hier sitzen und nicht spazieren gehen.“

„Zufall.“

„TEA!“

„Ja doch! Wir hören dich, Yami.“ Sie gab dem Drängeln nach und löste auch die zweite, goldene Schleife, öffnete den Karton und zum Vorschein kam keine Unterwäsche, sondern ein Paar Schnürschuhe aus derselben, tiefblauen Seide, lange Bänder, eine silberne Schnalle und recht breite, hohe Absätze.

„Das sind Tanzschuhe!“ staunte sie mit offenem Mund. Ein Kleid und Tanzschuhe? Aus dem Nichts heraus? „Seit wann stellen Boutiquen Tanzschuhe her?“

„Tea, schau mal“ zeigte Mokuba und zog einen Umschlag unter dem Schuhkarton hervor. „Eine Nachricht.“

„Bestimmt die Rechnung … ich bin ruiniert“ fürchtete sie, aber traute sich trotzdem. Sie brach das altmodische Wachssiegel und entfaltete einen Bogen aus dickem Büttenpapier. Darauf geschrieben mit blauer Tinte und einer elegant geschwungenen Handschrift.

„Lies vor, wer ist dein Verehrer?“ bettelte Yami, der es gleich nicht mehr aushielt.

„Liebste Tea“ las sie, auch wenn sie selbst die Worte kaum hörte. „Seit ich dieses Kleid an dir sah, verfolgt mich dieses Bild und die Rastlosigkeit danach, deinen Wunsch in diese Welt zu holen. Deshalb bist du sehr herzlich gebeten, dieses Kleid anzuprobieren und mir den heutigen Abend zu schenken. Ich werde dich um 18 Uhr abholen und hoffe auf die Erlaubnis, dich entführen und die neuen Schuhe mit dir durchtanzen zu dürfen. In Liebe, Seto.“

„Du hast das gewusst“ unterstellte Yami dem grinsenden Yugi. Natürlich hatte der das gewusst! Seto tat doch kaum etwas ohne seine Einwilligung. „Rück raus, Yugi, was hat er mit Tea vor?“

„Der Mittsommerball!“ rief Tea, welche in diesem Moment zwei Karten aus einer kleinen Tasche des Büttenpapiers gelöst hatte. „Oh mein Gott!“

„Amun ist im Aquarium“ meldete Yami sich fröhlich.

„Er hat Karten für den Mittsommerball besorgt“ atmete Tea und musste sich auf den Schock erst mal setzen. Ungläubig blickte sie das durchgestanzte Papier an, das teure Seidenkleid und die hochwertigen Tanzschuhe. Das hatte Seto alles vorbereitet. „Will er da etwa mit mir hin?“

„Bestimmt nicht“ meinte Marie kopfschüttelnd. „Er kauft dir ein Kleid und Schuhe und besorgt Karten. Ich bin mir sicher, er will sich nur die Fernsehübertragung angucken.“

„Aber woher hat er das gewusst?“ Natürlich wollte sie hin! So gern! Dieses Jahr fand der Benefiz-Ball in Oslo statt und man konnte daher besonders in Norwegen den Ankündigungen in den Boulevardblättern, den Fernsehberichten und den Radiodurchsagen kaum entkommen. Es gab ein Konzert, feinste Speisen und Getränke, herausgeputzte Leute, eine Menge Prominenz und vor allem viel Livemusik und Tanz, Tanz, Tanz. Dieser Spenden-Event hatte die prominente Besetzung der Filmfestspiele in Cannes und den Charakter des Wiener Opernballs. Natürlich wollte sie dort hin. Aber das Fragen hätte sich gar nicht gelohnt. Sie hatte kein Kleid, keine Schuhe und keinen Begleiter. Davon abgesehen, dass es so gut wie unmöglich war, Karten für dieses Ereignis zu bekommen. Die VIP-Gäste wurden schon ein bis zwei Jahre vorher eingeladen und die Restkarten für diesen Event kosteten ein halbes Vermögen - und waren selbst dann nur über Beziehungen zu ersteigern. Normalverbraucher waren auf dieser hochtrabenden Veranstaltung nicht erwünscht. „Woher … woher … was denkt er sich nur dabei?“

„Wahrscheinlich hast eher du gedacht“ tippte Yugi an seinen Kopf. „Und das anscheinend auch ziemlich laut.“

„Ja, er hat ja geschrieben, dass er das Kleid an dir sah“ kombinierte Yamis helles Köpfchen. „Wenn du daran gedacht hast, hat er den Gedanken aufgefangen. Bei Seto musst du mit solchen Wünschen aufpassen.“

„Er wusste, dass ich da hin will. Schon als kleines Kind wollte ich da hin“ sprach sie ungläubig aus und sah Yugi an. „Aber Yugi, das ist … wie ist er da rangekommen? Die billigsten Plätze starten bei 5000 Dollar und sind alle ausverkauft, obwohl du damit nicht mal auf die Tanzfläche oder ans Büffet darfst. Aber das hier“ zeigte sie die beiden Karten. „Das sind Karten erster Wahl. ERSTE WAHL! Damit darfst du sogar in den Musiksaal und hast einen eigenen Tisch im Gesellschaftsraum! Da kommen nur Megafunktionäre und A-Promis ran.“

„Tea“ lächelte Yugi vielsagend. Wenn man ihn jeden Tag erlebte, vergaß man schnell, dass Seto sowohl ein A-Promi als auch ein Megafunktionär war. „Das ist ein Geschenk von Seto. Mach ihm doch die Freude und geh da mit ihm hin. Wenn er sich das Streichkonzert nicht live anhören kann, heult er mir nur die Ohren voll. Außerdem gehen die Erlöse an einen wohltätigen Zweck und du weißt wie sehr Seto auf wohltätige Zwecke abfährt.“

„Außerdem sollen da jede Menge Promis sein“ ermutigte Nika. „Sogar George Clooney und Claudia Schiffer! Vielleicht sogar Landespräsidenten und richtige Adlige. Da mischt sich die High Society aus den USA und aus Europa sowieso. So viele hübsche und wichtige Menschen findest du nie wieder auf einem Haufen.“

„Ich weiß“ stotterte sie und sah ungläubig die Karten an. „Mein Kindermädchen hat früher jedes Jahr die Live-Übertragungen mit mir angeschaut. Sogar mitten in der Nacht, sodass ich am nächsten Tag ausnahmsweise zuhause bleiben durfte. Sie sagte immer, dass ist eine Traumwelt mit Glitzer und Glammer und wer dorthin geht, der hat’s echt geschafft.“

„Du solltest nur rechtzeitig fertig sein, sonst schaffst du es nicht“ half der alte Tato ernst nach. „Mit dem Flugzeug brauchst du mehr als zwei Stunden bis nach Oslo und wer zu spät kommt, trifft auf dem roten Teppich nur noch den Staubsaugermann.“

„Mir wird gerade ganz schwindelig.“ Sie wurde tatsächlich ziemlich blass. Mit einem Schlag war sie von der Milchkuh zur Königin befördert worden.

„Das gibt sich unter der Dusche.“ Marie erhob sich, wobei sie ihren Bauch eher stemmen musste als ihn tragen zu können. Mit Zwillingen unterm Herzen hatte sie im siebten Monat das zu schleppen, was andere Mütter im zehnten Monat hätten. Das ging an sämtliche Kräfte. Trotzdem schaffte sie es, Tea aus ihrer Schockstarre zu lösen, Dakar zu Phoenix zu geben, bevor sie die Paralysierte hinein schob.

„Wartet! Ich komme auch mit!“ Und Nika trug ihr dann noch Kleid und Schuhe nach.

„Aber wer holt denn die Kinder ab?“ sorgte Tea sich. Noch immer ungläubig gegenüber dieses unverschämten Glücks.

„Die hole ich ab“ rief Yugi ihr nach, bevor sie in der Gaststätte verschwand. „Yami und ich machen den Babysitter!“

„Ach, machen wir?“ guckte der ihn überrascht an. „Ich dachte, jetzt wo Seto den Abend weg ist, muss ich dich ein bisschen trösten.“

„Du kannst mich trösten, wenn die Kleinen im Bett sind“ zwinkerte er ihm zweideutig zu.

„Auf meine Töchter kann ich immer noch selbst aufpassen“ meinte Mokeph und zündete sich beleidigt eine Zigarette an.

„Das war auch mehr nur ein Witz“ entgegnete Yami ebenso ernst. „Ich habe meinen Abend schon mit Finn auf mir obendrauf verplant.“

„Geht’s dir gut?“ horchte nun auch Mokuba auf. „Du guckst so mürrisch.“

„Ich gucke nicht mürrisch“ seufzte er und ließ den Kopf hängen. „Warum bin ich nicht auf die Idee gekommen, ihr Karten zu besorgen?“

„Wahrscheinlich aus verschiedenen Gründen“ tröstete Mokuba. „Allem voran wahrscheinlich, weil du kein Gedankenhörer bist.“

„Dafür muss man doch wohl keine Gedanken hören können“ schimpfte er mit sich selbst und gestikulierte mit fahriger Hand. „Tea liebt tanzen und guckt sich jedes Jahr die Übertragung dieses komischen Spendenballs im Fernsehen an. Und ich habe sie seit Monaten nicht mehr ausgeführt. Unter deinem Namen hätte ich garantiert Karten bekommen. Als Kaiba bekommt man überall Karten!“

„Aber du hättest garantiert das falsche Kleid gekauft“ versuchte Mokuba es weiter.

„Umso trauriger, dass fremde Männer die Größe meiner Frau besser kennen als ich.“

„Und du bist nicht ihr Tanzpartner“ tröstete er unvermindert. „Seto und Tea haben schon zusammen getanzt, bevor du überhaupt hier warst.“

„Ich hätte aber rechtzeitig Stunden nehmen können. Ein ganz toller Ehemann bin ich.“ Verzagt atmete er den Tabakrauch ein und ärgerte sich für sich selbst. Es wäre so einfach gewesen, Tea diese Freude zu machen. Aber nein, da brauchte es Seto, um sie zu überraschen. Traurig.

„Dir fällt bestimmt was anderes ein, womit du ihr eine Freude machen kannst“ baute Mokuba ihn auf und schob den Aschenbecher in seine Richtung. „Gib nicht auf, sie liebt dich doch eigentlich.“

„Nur, dass sie mich mit dem Arsch nicht anguckt“ meinte er traurig. „Vor den Kindern zeigt sie es nicht so, aber sie meidet jeglichen Kontakt mit mir. Sie fehlt mir, aber ihr ist das völlig egal. Geschieht mir recht.“

„Mokeph.“

„Und da müssen andere Männer kommen und sie ausführen. Wie tief bin ich gesunken, dass ich das nicht mehr selbst hinbekomme?“

„Du kannst aber nicht eifersüchtig auf Seto sein“ meinte Tristan. „Mit dem kann keiner von uns mithalten.“

„Da muss ich ihm zustimmen“ meinte auch Mokuba. „Wenn mein großer Bruder den Galan-Modus einlegt, kann sogar Noah einpacken. Und der ist immerhin schon Galan von Gottes Gnaden.“

„Absolut begnadigt“ nickte Yami fröhlich, aber das entlockte nur dem Rest nur ein leises Seufzen. Seine Scherze waren auch schon mal besser gewesen.

„Es nutzt nichts“ erwiderte Mokeph vollends entmutigt. „Ich verliere sie mit jedem Tag mehr … letztlich habe ich ihr nie etwas geboten. Sie ist eine tolle Frau mit großen Träumen und stattdessen gibt sie alles auf und bekommt meine Kinder … ich bin so ein Idiot …“ Da half es auch nichts, wenn er die Zigarette im Aschenbecher verstümmelte. Die konnte da ja nun wirklich als letzte etwas für.
 

Pünktlich um kurz vor sechs Uhr am Abend fuhr auch Seto vor. Eine lange, weißsilberne Cabrio-Limousine hielt vor der Gaststätte und aus der hinteren Tür stieg er selbst. Er hatte sich sichtlich auf den Abend vorbereitet und trug neue, schwarze Lederschuhe -pardon, KUNSTlederschuhe -, eine Hüfthose aus Stoff, welche ebenso königsblau gefärbt war wie Teas sommerliches Ballkleid. Dazu ein langärmliges, weißes Hemd aus Seide mit dunkelblauer Weste, welche seine männlichen Umrisse heraushob und ihm eine elegant schmale Hüfte verlieh. Ebenso verzichtete seine Garderobe auf überladene Zier wie Nähte oder Taschen. Beim Näherkommen erkannte man nur am Kragen und den Manschetten eine silbern aufgestickte Reihe von dornigen Rosenranken. Auch entgegen dem Modestandard war das Hemd leicht geöffnet und hochgekrempelt. Immerhin war es selbst in der Nacht noch weit über 20 Grad und es war schon eine Überwindung, dass er mehr als zwei Schichten Kleidung trug.

Zum Glück hatte sie sich ein blaues Kleid ausgeguckt und kein gelbes, sodass das mit dem Partnerlook gut ging. Über seine Kleidung hinaus verriet aus der Ferne auch schon die Rolex an seinem rechten Handgelenk, dass er zu den Besserverdienern zählte. Das schlanke Armband, welches Yugi ihm zu seiner Priesterweihe geschenkt hatte, wirkte dagegen fast unauffällig, obwohl es doch für Wissende die wahre Kostbarkeit darstellte.

„N’Abend“ grüßte er in die Allgemeinheit, während er sich zu Yugi herabbeugte und ihn küsste. Nebenbei legte er den flachen, viereckigen Kasten aus schwarzem Holz, welchen er mit sich trug, auf dem Tisch ab.

„Na?“ lächelte Yugi ihn verliebt an. „Du siehst umwerfend aus, Liebling. Und du, hmmmm, du riechst gut.“

„Dankeschön“ lächelte er zurück. „Und? Hat sie sich gefreut?“

„Sie wäre fast in Ohnmacht gefallen. Aber sie ist gleich nach oben gegangen und Marie hilft ihr, sich fertig zu machen.“

„Ich gucke schnell, wie weit sie ist“ meinte Sareth und flitzte hoch, um bescheid zu sagen, dass ihr Begleiter eingetroffen war.

„Deines, oder?“ Seto griff sich zielsicher Yugis Glas und leerte das kühle Wasser in einem Zug. Es war definitiv zu warm für ihn.

„Ich glaube, du hast voll ins Schwarze getroffen“ meinte Mokeph leise. „Ich habe Tea lange nicht mehr so aufgeregt gesehen.“

„Sie war ja auch lange nicht mehr tanzen“ erwiderte Seto. „Eigentlich habe ich auch gar keine Lust, mir diesen Promi-Quatsch anzutun, aber …“

„Und warum tust du es dann?“ Er wusste nicht, ob er Seto nun dankbar sein sollte, dass er seine Frau beglückte oder ob er ihn zum Faustkampf auffordern wollte.

„Weil sie sich in diesem blauen Kleid auf der Tanzfläche sieht. Dieses Bild steht seit Tagen in der Luft“ entgegnete er mit ruhigem Ton. „Und weil ich neulich Nacht von ihr geträumt habe, muss ich jetzt mit ihr ausgehen.“

„Du träumst also von meiner Frau, ja?“

„Nur für den Fall, dass du es zwischen Schuldgefühlen und Babywindeln vergessen hast“ biss er spitz zurück. „Tea ist eine klasse Frau mit Grips und Stil. Und einen Mann, der mehr an sich selbst als an sie denkt, hat sie definitiv nicht verdient. Sie opfert sich schon genug für uns alle auf. Und wenn du sie nicht aus ihrer Lethargie holst, tue ich das mit Handkuss. Denn ich liebe sie und im Gegensatz zu dir, scheue ich mich nicht, ihr das auch zu zeigen. Und zwar aus echter Liebe und nicht wegen gekränktem Stolz.“ Punkt, der Drache hatte gesprochen. „Also mach mich nicht dumm von der Seite an, okay?“

Mokeph schwieg und das im passenden Moment, denn wer da eben auf die Terrasse trat, war nicht eine Mama im Jogginganzug wie in den letzten Tagen, sondern eine wahre Königin. Sie trug das lange Kleid, welches Seto ihr geschenkt hatte. Es betonte ihre volle Oberweite und floss locker bis zu den Knöcheln, welche von den Seidenbändern der Tanzschuhe umwickelt waren. Ein Traum in dunkelblau. Ihr Haar trug sie hochgesteckt und Marie hatte es kunstvoll mit vielen, kleinen Strähnen verflochten, sodass es elegant aussah und nicht auseinander fiel. Die passende Handtasche aus weißem Kunstleder hatte der Kurier beim dritten Mal dann auch nachgeliefert und so sah sie tatsächlich strahlend schön aus. Da staunte ein jeder, dass sie auch nach zwei Kindern und einem zu stillenden noch immer so begehrenswert wirken konnte. Ja, sie sah nun wirklich wie eine echte Königin aus. So sehr, dass Mokeph sich schamvoll abwandte.

„Hi Seto“ lächelte sie etwas beschämt darüber, dass sie auch von den Fremden im Restaurant so angesehen wurde. „Danke für das Kleid. Und die Schuhe.“

„Du siehst fantastisch aus“ erwiderte er, reichte ihr die Hand und küsste sie standesgemäß. „Du bist wunderschön, Tea.“

„Nur weil du es ausgesucht hast“ meinte sie und strich über ihre Taille. „Meine Hüften sind nicht mehr das, was sie früher waren. Eine Nummer kleiner und ich sehe aus wie eine Presswurst.“

„Rede keinen Quatsch.“ Das wollte er gar nicht hören. Er trat hinter sie, legte sein Kinn auf ihre Schulter und strich mit den kalten Händen über die warme Seide an ihrer Taille. „Deine Hüften sind Weltklasse. Genau wie eine Frau sein soll.“

„Ach, Seto.“ Das war doch wirklich ein Traum. Er war so lieb und Komplimente hatte sie auch seit langer Zeit nicht mehr bekommen. Das war Setos, wie nannte Mokuba es so schön, Galan-Modus. Er konnte Komplimente machen und Frauen anfassen, ohne dabei billig oder schleimig zu werden. Täte ein anderer Mann das, würde der wahrscheinlich einen Preis für den schmierigsten Baggerspruch bekommen. Der Unterschied war einfach der, dass Seto meinte, was er sagte.

„Aber eine Sache haben wir noch offen, beziehungsweise zu öffnen“ sprach er dann, griff um sie herum und nahm den Holzkasten vom Tisch, um ihn ihr zu geben.

„Für mich?“

„Für dich.“

Sie nahm den Kasten, doch er war so schwer, dass sie ihn gleich wieder auf dem Tisch abstellen musste. „Meine Güte, hast du da Wackersteine drin?“

„Ich bin das Geißlein, nicht der böse Wolf.“

Dann erst öffnete sie das Scharnier, hob den Deckel ein Stück an, doch kaum hatte sie einen Blick erheischt, knallte sie ihn gleich wieder zu.

„Seto! Das ist nicht dein Ernst!“

„So schlimm?“ guckte er besorgt von der Seite um sie herum. „Du hast doch neulich noch überlegt, wie sich das wohl anfühlt.“

„Das ist … SETO! Das liegt doch im tiefsten Russland unter Panzerglas! Wie hast du DAS denn geliehen gekriegt?“

„Doch nicht geliehen“ echauffierte er sich und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Das russische Volksmuseum hat sich gegen eine Spende so sehr gefreut, dass sie es mir quasi aufgedrängt haben.“

„Du hast …“ Geschockt drehte sie sich herum und begann zu zittern. „Du hast das nicht echt gekauft. Bitte sag mir, dass du das nicht gemacht hast.“

„Dann sage ich es dir nicht“ meinte er und setzte sein schönstes Lächeln auf, sodass sie einfach weich werden musste. „Du hast es verdient, alles geschenkt zu bekommen, was du dir wünschst.“

„Ich habe mir das nicht gewünscht. Ich habe … du hast sie doch nicht alle … Seto, du hast einen Schaden!“

„Das sagt mein Psychiater auch immer. Darf ich?“

„Was ist denn das?“ wollte jetzt auch Sareth endlich wissen, aber als Seto den Holzkasten öffnete, verstand sie, weshalb es Tea die Sprache verschlug.

Darin lagen funkelnde Diamanten von unschätzbarem Wert. Allerfeinst geschliffen und eingesetzt in glänzendes Silber. Geformt zu einem Diadem, einem Collier, zwei Ohrringen, einem Ring, zwei Armbändern, einer Brosche und einem Armreif. Alle in derselben, kunstvollen Art. Die Diamanten waren wie gefrorene Rosenblüten und die Silberverbindungen wie Reif auf den Blättern. Doch die wenigen, allerfeinsten Dornen der Rosen waren aus dunkelblauen Saphirsplittern und in der Mitte eine schüchterne Rosenblüte aus zierlichsten Diamanten. In allem brach sich die Sonne und reflektierte zurück wie millionen Prismen.

„Das haben wir neulich im Fernsehen gesehen!“ erkannte Sareth sofort und ließ den Mund offen stehen. „Der Schmuck hat seit Generationen der Zarin gehört, bevor er ins russische Staatsmuseum übergegangen ist. Und angefertigt wurde er angeblich damals von einem Liebhaber für Katharina die Große. Das sind die Eisrosen des russischen Herzens. Die komplette Sammlung!“

„Das hast du gekauft?“ Jetzt wurde sogar Mokuba stutzig. „Großer, wie teuer war das?“

„Über Geld spricht man nicht“ meinte er und war schon dabei, der zitternden Tea ihre dagegen jämmerliche Silberkette abzunehmen.

„Nein ehrlich, Seto“ hauchte sie den Tränen nahe. „Das kann ich nicht tragen.“

„Aber du hast dich neulich gefragt, wie sich so ein Collier auf der Haut anfühlt. Ob es wohl sehr schwer wäre …“

„Aber so etwas leiht man sich. Wenn überhaupt. Das kauft man nicht. Besonders nicht aus dem russischen Staatsschatz. Das ist ein Museumsstück.“

„Weiß doch niemand, dass ich es gekauft habe. Offiziell sagt man nur, dass es sich ab sofort in Privatbesitz befindet.“

„Warte!“ Bevor sie sich nun auch die Ohrringe abnehmen ließ, trat sie einen Schritt weg und sah ihn verunsichert an. „Wie viel hast du dafür bezahlt?“

„Ist doch nicht wichtig. Es steht dir sicher ganz …“

„Seto, wie viel?“ wollte sie endlich wissen. „Mehr oder weniger als eine Million?“

„Rubel?“

„Seto! Dollar natürlich. Harte US-Dollar. Eine Million Dollar?“

„Tea …“

„Seto! Mehr oder weniger als eine Million?“

„Mehr.“

Uff! Mehr? „Zwei Millionen?“ das wollte sie jetzt unbedingt wissen.

„Mehr“ antwortete er und beugte sich zu ihr. „Die Steine haben nicht so viel Wert wie ich bezahlt habe, nur der geschichtliche Wert ist enorm. Doch wenn du mich fragst, verleihst du den Steinen mehr Wert als jede Zarin der Geschichte es könnte. Auch mehr als Katharina die Große.“

„So ein Unsinn!“

„Kein Unsinn.“ Er senkte seine Stimme, strich ihr über den Hals und legte seine Stirn an ihre. „Du bist die erste Frau, die mich gut behandelt hat. Alle Schmuckstücke der Welt können gar nicht sichtbar machen, wie sehr ich dich liebe.“

„Aber Seto … das geht zu weit.“ Abgesehen davon, dass gleich Tränen kullerten.

„Bitte beleidige mich nicht, indem du das Geschenk ablehnst. Ich hoffte, du würdest dich ein bisschen freuen.“

„Ich freue mich mehr als gut für mich ist … aber Seto. Nur weil ich mal was bewundere, was im Fernsehen gezeigt wird, heißt das nicht, dass du mir das sofort schenken sollst. Das ist … das ist nicht normal.“

„Was ist schon normal?“ Er lächelte sie an und bat auf charmanteste Art um ihre Zustimmung. „Wie teuer es war oder wo es herkommt, ist doch unwichtig. Wichtig ist allein, dass es einen persönlichen Wert für dich hat. Und ich hoffe, dass du dich freust. Oder lag ich so falsch?“

„Nein … natürlich freue ich mich …“

„Und ich mich auch. Wo ist nun das Problem?“

„Tea“ unterbrach Mokuba freundlich und schüttelte vielsagend den Kopf. „Du weißt doch, dass diskutieren mit Seto zu nichts führt.“

„Das kann ich aber nie wiedergutmachen“ atmete sie und hielt nur mit Mühe die Tränen zurück, die aus ihrer Stimme quollen.

„Nein, es ist andersherum.“ Er nahm das Collier und legte es mit sanften, kalten Händen um ihren Hals. „Das hier ist eine Wiedergutmachung an dich. Weil du mit mir so viel mitmachen musstest. Und weil du mich trotz allem immer warmherzig, freundlich und respektvoll behandelst. Und weil du nicht zuletzt eine der wichtigsten Frauen in meinem Leben bist.“

„Seto …“
 


 

Chapter 25
 

Es hätte ein Traum sein müssen, wenn nur nicht die Magenschmerzen so real stachen. Innerhalb weniger Stunden fand sie sich in einer anderen Welt wieder. Einer Welt, welche Seto komplett für sie durchgeplant hatte und in welcher jeder Wunsch erfüllt wurde, bevor er überhaupt aufkeimen konnte.

So war Tea von ihm komplett mit einem traumhaften Sommerballkleid und russischen Zarendiamanten ausgestattet worden, bevor er sie in eine luxuriöse Cabriolimousine einlud. Diese schloss zur Schonung ihrer hochgesteckten Frisur natürlich ihr Verdeck. Dann bekam sie erst mal ein Pfefferminzeis und fand sich kurz später in einem von Setos kleineren Privatjets wieder. Klein bedeutete in diesem Falle, dass es ‚nur‘ ein Badezimmer und ein Wohnzimmer gab. Die größeren Jets besaßen Konferenz- und/oder Arbeitsräume neben Schlafzimmern oder für Noah sogar einem Fitnessraum oder für Mokuba ein Air-Cinema. Joey hatte für sich selbst sogar einen ganzen Raum mit 3D-Spielekonsolen einbauen lassen - zu Testzwecken natürlich, damit man es von der Steuer absetzen konnte. Doch Seto übte sich heute in Bescheidenheit. Es war ja auch nur ein kurzer Flug bei bestem Wetter, welcher gerade genug Zeit bot, um Tea die Gästeliste des Mitsommerballs vorzulegen, den Grundriss des Veranstaltungsortes und die Auswahl an Veranstaltungen, wie beispielsweise das Streichkonzert oder eine Auktion. Seto hatte es genau durchgeplant und hoffte auf Teas Zustimmung. Er hätte sonst alles noch mal neu geplant - sie brauchte es nur sagen. Auch wenn sie ihm kaum zuhören konnte, so laut schlug ihr Herz in den Ohren.

Am Flughafen in Oslo angekommen, erwartete sie bereits eine neue Limousine. Die Häuser, Straßen und Menschen flogen an den getönten Scheiben vorbei wie in einem Traum. Es musste ein Traum sein. Seto hielt ihre Hand und beruhigte ihre Dankesgesänge mit sanften Worten und einem Lächeln. Er wusste, dass dies die Verwirklichung eines von Teas innigsten Mädchenträumen war. Ein Mal nur auf den Mitsommerball gehen und abtauchen in eine Welt von Ganz und Glammer.
 

Hatte sie bisher nur nervös an ihrem Kleid genestelt, wurden nun die Knie weich. Der Wagen hielt und beim Hinaussehen blendeten sie bereits helle Blitzlichter und aufgeregtes Gerede. Seto stieg zuerst aus und reichte dann die Hand, um ihr hinaus zu helfen.

Und dann war er da - der rote Teppich.

Er war tatsächlich rot wie in den Filmen. Links und rechts wurden Fotografen und Fans mit Absperrungen auf Distanz gehalten. Die einen hielten kreischend Notizhefte und Stifte hin, die anderen fotografierten als würde ihr Leben davon abhängen. Mikros wurden an langen Stangen möglichst weit nach vorn gehalten, Kameras fingen jede Regung ein und Reporter riefen Namen und Fragen, welche in der Lautstärke untergingen. Es war sogar noch ergreifender als in den Fernsehübertragungen. Und sie saß nicht mit Chips, Eis und Sekt vor dem Bildschirm, sondern lief mit Zarenschmuck und einem großartigen Mann zwischen all denen hindurch, welche nicht zu der gesegneten Gesellschaft gehörten, welche nicht den geheiligten Teppich betreten durften.

Wie in Trance griff sie Setos Arm und ließ sich über das majestätische Rot führen. In dem Blitzlichtgewitter und dem Rufen hörte sie kaum etwas hindurch. Nur Setos Namen hörte sie aus verschiedenen Richtungen heraus. Für gewöhnlich mied er solche Festivitäten und so war es umso mehr ein Ereignis, dass er heute hier erschien. Nur die Fans gingen wie meist ohne Autogramm aus. Wahrscheinlich war er nur froh, wenn er aus der Menge heraus war und niemand mehr seinen Namen kreischte.

Er jedoch schien ganz ruhig, trotz des lauten und hektischen Treibens. Ohne ihn wäre Tea wie eine Betrunkene gewankt, doch er stand fest wie ein Eisberg. Er sah nicht nach links oder rechts und ging gelassenen Schrittes bis zu der großen Tür, welche von mehreren Securitys bewacht wurde. Dort öffnete sich die menschliche Sicherheitssperre und sie traten ein in eine große Empfangshalle.

Sofort wurde der Lärm abgeschirmt. Auf der linken Seite eine lange Garderobe mit adrett gekleidetem Personal. Auf der rechten Seite eine weite Fensterfront mit Parkblick. Dort zwischen den Bäumen und Beeten flanierten einige schick gewandete Gäste und genossen den erröteten Himmel. Der rote Teppich führte weiter geradeaus, wo am Ende drei verschiedene Tore warteten.

Tea wusste gar nicht wo sie zuerst hinsehen sollte, da kam bereits ein Kamerateam auf sie zugelaufen. Ein blonder Mann im Smoking der ein rotes Mikrofron vor sich hertrug. In seinem Gefolge mit dunklen Jeans und weißem Hemd bekleidet eine Kamerafrau und ein Mann mit verrutschter Krawatte, einem radioähnlichen Gerät und einem plüschigen Mikro an einem langen Eisenstab. Doch Tea sah, dass diese hier Ausweise am Revers trugen und nicht von den Securitys aufgehalten wurden. Und aus den Fernsehübertragungen wusste sie, dass dies eines der drei Kamerateams war, welche die offizielle Berichterstattung übernehmen durften.

„Mr. Muto!“ und schon stürmten die drei auf sie zu und liefen neben ihnen her. Der blonde Mann hielt Seto das Mikro hoch und hoffte auf Antworten. „Herzlich willkommen auf dem Mitsommerball.“

„Danke“ murrte er und warf nur einen kurzen, mürrischen Blick auf ihn. Reporter zählten nicht zu seinen besten Freunden. Er und die Presse waren natürliche Feinde.

„Man sieht Sie selten auf Events wie diesen. Wie kommt es, dass Sie nach Ihrer Absage nun doch den Mitsommerball besuchen?“ Der Reporter sprach mit einem starken Akzent, sodass Tea sich bemühen musste, seine merkwürdigen Betonungen überhaupt zu verstehen. Doch Seto schien damit weniger Probleme zu haben.

Er seufzte unmerklich, blieb langsam stehen und stellte sich dieser unvermeidlichen Begegnung. Kühl sah er den blonden Reporter an, der ihn jedoch freundlich anlächelte. „Die Kaiba Corporation verstärkt derzeit ihre Anstrengungen in Nordeuropa und von daher müssen wir auch persönlich im europäischen Raum präsent sein. Der Besuch in Oslo ist daher nur ein kleiner Umweg. Außerdem engagiert sich die Kaiba Corporation schon seit Jahren in sozialen Bereichen und ich hoffe, mit meinem Besuch nicht nur einen persönlichen Standpunkt gegen die Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen zu beziehen, sondern auch andere Unternehmer dazu zu motivieren, mehr Wert und Vertrauen, auch landes- und religionsübergreifend, in die Qualitäten weiblicher Arbeitsleistung zu legen.“

„Ihre eigene Stiftung Sun-For-Children engagiert sich ja eher im Bereich gegen Kindesmissbrauch und Kinderarbeit. Warum waren Sie nicht im letzten Jahr in Warschau zu Besuch als der Erlös genau zu diesen Zwecken verwendet wurde?“

„Das Kindeswohl beginnt in erster Linie mit dem Wohl der Eltern, speziell der Mütter, weshalb wir nicht nur gegen Kindesmissbrauch arbeiten, sondern auch in den Familien direkte Arbeit leisten“ antwortete er mit angenehmer, aber fester Stimme. Er strahlte etwas klares, souveränes aus, was Tea vor Ehrfurcht frösteln ließ. „Es ist der Kaiba Corporation seit Jahren ein Anliegen, der Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen entgegen zu wirken. Die Kaiba Corporation hat verschiedene Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramme etabliert und hiermit bereits sehr gute Erfahrungen gemacht. Deshalb ist das diesjährige Thema mit unseren Engagements vereinbar. Auch wenn im letzten Jahr niemand von uns persönlich in Warschau anwesend sein konnte, hat sich die Mittsommer-Vereinigung über unsere großzügige Spende sehr gefreut und sich mit einer erneuten Einladung für dieses Jahr bedankt.“

„Erlauben Sie bitte noch eine letzte Frage. Wie geht es Ihrem Mann?“

„Sehr gut. Danke.“

„Mr. Muto, vielen Dank für das Interview und noch einen schönen Abend.“

„Ebenso.“ Er nickte und setzte seinen Weg über den Teppich fort.

Tea war verwundert wie ruhig und gelassen er geantwortet hatte. Er hatte über seine Sätze kaum nachgedacht, das klang so routiniert als würde er das täglich machen. Es verhielt sich für gewöhnlich eher so, dass er Statements aus dem Wege ging, weil er ohnehin falsch zitiert wurde oder man ihm irgendetwas andichtete. Umso erstaunlicher, dass er überhaupt stehen geblieben war.

„Du fragst dich, warum ich ihm überhaupt geantwortete habe“ stellte er auf Teas Grübeln fest.

„Schon ungewöhnlich, dass du dich mit Reportern unterhältst. Das übernehmen doch sonst eher Noah und Joey.“

„Die sind ja aber nicht hier.“

„Eben. Warum bleibst du dann sogar stehen? Das passt gar nicht zu dem, was du sonst machst.“

„Zuerst mal, weil er in meiner Sprache gefragt hat. Das ist ein Zugeständnis und sehr höflich. Für gewöhnlich quatschen die Typen dich auf englisch an und sagen nicht mal guten Abend.“

„Stimmt.“ Als Kind war sie froh, wenn ihr Kindermädchen die Untertitel vorgelesen hatte, wenn es keinen Simultanübersetzer im Fernsehen gab. Erst mit steigenden Englischkenntnissen hatte sie sich die Übertragungen ohne Übersetzer angesehen und nur selten wurde dabei etwas anderes als Englisch gesprochen. Der Reporter wusste also, dass er Seto anders behandeln musste, wenn er ein kurzes Interview wollte.

„Zum Anderen hatte er Ahnung von dem, was er fragte. Er wusste, dass ich eine Stiftung betreibe, also hat er sich offensichtlich auf das Gespräch vorbereitet. Seine Fragen waren recht harmlos für einen Reporter und er hat sich an die Regel gehalten, dass man eingangs nicht mehr als drei Fragen stellen sollte. Außerdem konnte ich dadurch ein bisschen Werbung für uns machen.“

„Das ist mir auch aufgefallen“ stimmte sie sofort zu. „Du hast ziemlich oft Kaiba Corporation gesagt.“

„Weil sie das Interview nach der Live-Übertragung sowieso kürzen und ich wenigstens den Unternehmensnamen genannt haben will. Aber jetzt genug mit dem Marketing. Wie fühlst du dich denn? Alles in Ordnung?“

„Alles bestens.“ Sie fühlte, wie er ihren Arm drückte und sanft zu ihr herabsah. „Ich bin ziemlich aufgeregt. Ich hoffe, dass ich dich nicht blamiere.“

„Mich blamieren? Dazu gehört aber mehr als gutes Aussehen und ein bezauberndes Lächeln.“

„Du bist süß“ kicherte sie und sah von ihren Schuhe aus lieber nach vorn. „Ich meine doch, weil das hier eine ganz andere Welt ist. Es war zwar immer mein Traum, hier mal herzukommen, aber eigentlich gehöre ich hier gar nicht hin. Ich bin keim Promi, nicht reich und nicht erfolgreich. Und die Gepflogenheiten der Highsociety sind mir auch nicht geläufig.“

„Aber du warst doch mit deinen Eltern auch mal auf einer Spendengala oder ähnlichen Events.“

„Ja schon. Aber da war ich mehr das Vorzeigekind, wenn sie mal ein Kind vorzeigen mussten. Das hier ist doch etwas ganz anderes.“

„Ich bin ja auch nicht oft auf solchen Festen. Das hier ist alles eine Scheinwelt und die meisten Leute sind nicht wegen des guten Zwecks hier, sondern zum Sehen und Gesehen werden und zum Lästern.“

Diese Meinung besorgte sie nur noch mehr. „Meinst du, sie lästern auch über uns? Weil du mich mitgebracht hast? Hat er deswegen nach Yugi gefragt?“

„Garantiert.“ Dennoch lächelte er sie liebevoll an, beugte sich herunter und küsste ihre Schläfe. „Aber nur aus Eifersucht. Weil du nicht nur die natürlichste Schönheit bist, sondern auch der einzig normale Mensch hier.“

„Abgesehen von dir.“

„Also wirklich“ schmunzelte er und hob tadelnd den Finger. „Man hat mir ja schon vieles nachgesagt, aber noch nie, dass ich normal wäre.“

„Verzeih. Wie konnte ich mich nur zu so etwas hinreißen lassen!“ Sie buffte ihn in die Seite und er lachte sogar kurz. Gut zu sehen, dass er trotz der zu erwartenden Menschenmenge guter Laune war. Eigentlich war die Teilnahme an solchen Anlässen eine Strafe für ihn, doch Tea glücklich zu sehen, hob auch seine Stimmung.

Dann waren sie auch schon am Ende der Halle angekommen und Tea wusste nicht ganz, welches von den drei Toren sie nun durchqueren sollte. Seto hatte ihr zwar den Grundriss der Anlage gezeigt, doch Architektur war nie ihre Stärke.

Wenigstens schien er bescheid zu wissen und steuerte nach links, wo zwei Angestellte eine Samtkordel bewachten und freundlich lächelten. Die beiden Damen trugen dieselbe Uniform wie die Garderobieren - einen schwarzen Hosenanzug oder Rock und ein weißes Hemd. Natürlich mit Namensschildern, welche sie als autorisiertes Personal auswiesen.

„Good evening, Mr. Muto“ grüßte die dunklere von beiden und und streckte die Hände aus. Seto zog eine Karte aus der Tasche des Jacketts, welches er sich wegen der Wärme über den Arm gelegt hatte. Wobei Tea nur auffiel, dass sie gar nicht daran gedacht hatte, eine eigene Jacke mitzunehmen. Und wie schön Setos Manschettenköpfe glänzten … „Mrs. Gardener is accompanying you?“ lächelte sie und sah Tea freundlich an.

„Yes.“ Seine Antwort war kurz und aussagekräftig. Seine Mine war auch nicht mehr allzu freundlich, aber sie war nun mal fremd und er begegnete Fremden noch immer sehr vorsichtig. Er war eben ein scheuer Drache.

Die Dame nickte ihrer Kollegin zu, welche auf einem Zettel etwas abhakte. Dann erst löste sie die Kordel der Absperrung, um die Gäste hindurch zu lassen und gab ihm die Karte zurück. „We wish you having a nice evening and if you have any requests, please feel free to ask for our support.“

„Thanks.“ Er wies nach vorn und ließ Tea zuerst eintreten.

Ein paar Schritte weiter fand sie sich auf einem schummrigen Gang wieder. Langgestreckt und in Halbmondform. Blankpolierter Parkettboden. Die rechte Seite war von verschiedenen Landschaftsmalereien geziert, die linke Seite führte durch offene Doppeltüren in einen Konzertsaal, welcher helles Licht und Stimmengebrummel in den Gang spülte. Die Plätze waren fast alle besetzt und noch bevor Tea sich ein vollständiges Bild machen konnte, eilte ein fleißiger Angestellter auf sie zu. Ein junger Mann, sehr jung. Vielleicht ein Schüler, der sich ein Zubrot verdiente.

„Mr. Muto. Good evening.“ Aber auch er erkannte Seto bereits und machte eine kleine Verbeugung. „It’s a honor having you and Mrs. Gardener here. If you like I would be happy to show you to your seats.“

„Wir sind spät dran. Deswegen kommt er gleich zur Sache“ erklärte er zu Tea gewandt, bevor er dem Jungen zunickte und ihm seine Einladungskarte übergab.

Der nahm sie, doch wies bereits nach vorn ohne wirklich gelesen zu haben. „This way please.“

„Thank you.“

Tea wunderte sich, dass er sie in diese Richtung führte. Beim Blick durch die offenen Saaltüren hatte sie bemerkt, dass die Bühne in der anderen Richtung lag und er sie also von dort wegführte. Seto hatte doch gesagt, er habe gute Plätze organisiert und jeder wusste, dass die besten Plätze vorn an der Bühne waren und nicht hinten. Doch sie zuckte innerlich mit den Schultern und dachte sich, dass sie im Kino und im Theater auch lieber weit hinten saß. Man konnte dort einfach besser sehen.

Seto nahm ihre Hand und legte sie um seinen Arm. Er passte die ganze Zeit auf, dass sie nicht verloren ging.

Jedoch wurden sie nicht in die hinteren Stuhlreihen gebracht, sondern zu einem Fahrstuhl, welcher bereits einladend für sie offenstand. Seto zögerte kurz, was Tea daran bemerkte, dass er einen Schritt ausfallen ließ und schluckte. Er hasste Fahrstühle. Dennoch ging er anstandslos hinein und blickte zu Boden. Er musste sich in solchen Situationen immer konzentrieren.

Zu seiner Erleichterung war die Fahrt nur wenige Sekunden lang und als die Türen wieder aufsprangen, lief ihr junger Führer sofort voraus. Er sagte zwar nichts, doch Tea kam der Gedanke, dass sie ziemlich spät dran sein mussten. Draußen hatte sie kaum Stars gesehen oder andere Gäste. Dafür war es laut im Saal und voll besetzt. Wahrscheinlich wartete man nur noch auf sie und Seto. Oder wohl eher nur auf Seto.

„We have reserved your private balcony. I hope you’ll like it.“ Der Junge zog einen Vorhang zur Seite und gab den Blick auf einen Balkon frei. Tea hatte also richtig gelegen, dass er sie von der Bühne weg geführt hatte. Doch nicht zu den schlechteren Plätzen, sondern den besten, die der Saal aufbot. Eine Loge an der Stirnseite. Dort wo die Mächtigen und Wichtigen saßen.

Als Seto sie vorgehen ließ, verschlug es ihr den Atem. Unter ihnen saßen hunderte bunte, elegante, glitzernde Menschen. Kellner huschten durch die Sitzreihen und bedienten die letzten Bestellungen. Das Orchester lag bereits in den letzten Zügen, ihre Instrumente zu stimmen und wartete auf den Dirigenten.

Rechts neben ihrer Loge war der Vorhang gegen Seitenblicke zugezogen, der daneben auch, sodass Tea nicht sehen konnte, wer ihre Sitznachbarn waren. Doch aus der dritten nickte ihr ein Mann mit blondem Haar und einem feinen, dunkelgrünen Anzug zu. Sein Gesicht etwas rundlich und seine Begleitung eine dunkelhaarige Schönheit. Da blieb ihr der Mund offenstehen, denn den erkannte sie trotz des dämmrigen Lichts sofort. Nika hätte in diesem Moment das Kreischen bekommen, denn sie liebte Leonardo di Caprio. Und er hatte seine Freundin dabei. Hier gab sich sogar die Hollywood-Prominenz die Ehre und Tea ärgerte sich nun doch ein bisschen, dass sie keinen Fotoapparat dabei hatte. Den hätte sie jetzt noch lieber als eine Jacke gegen die Abendkälte.

Auf die anderen Seite, links von ihrer Loge wanderte der Blick erst danach als Seto ihr gestikulierte, sie solle sich eine Seite aussuchen. Sie sah das ältere Ehepaar an, welches dort direkt neben ihnen in der allerbesten Loge saß. Die Dame trug ein schlicht hellgraues, mit Glitzersteinchen besticktes Kleid und ein mit Saphiren besetztes Diadem auf dem brünetten Haar. Neben ihr ein korpulenterer Herr mit Halbglatze und einem Soldatenanzug. Der Kragen gelb und die Schärpe rot. Auf seiner Brust ein paar Orden. Daneben saß ein jüngerer Mann mit freundlichem Gesicht und dunklem Bart. Auch er trug eine ähnliche Soldatenuniform und glänzende Orden. Er zückte das Opernglas, welches er an eine goldblonde Frau gab. Sie trug ein rosa Seidenkleid und ein mit roten Steinen besetztes Diadem. Erst als die Frau im hellgrauen Kleid ihr zulächelte, traf sie der Schlag. Das auf ihrem Kopf war kein Diadem, sondern eine Krone. Diese freundlichen Personen waren die norwegische Königsfamilie! Neben ihr saßen Königin Sonja und König Harald. Und daneben Prinz Haakon und seine Mette-Marit. Natürlich waren in der zweiten Reihe noch einige Personen zu sehen, wahrscheinlich Adlige oder Bodyguards oder so, doch ganz vorn, direkt neben ihrem eigenen Balkon … und sie mit Seto direkt daneben. Das hier waren tatsächlich die allerbesten Plätze, die man haben konnte. Jetzt wünschte sie sich einen Fotoapparat UND ein Erdloch.

„Tea?“ Setos Stimme drang an ihr Ohr und holte sie aus der Schockstarre. „Möchtest du dich langsam setzen? Sie warten auf uns.“

„Ähm … ja.“ Sie nahm lieber den Stuhl, der etwas dichter am Vorhang stand, damit Seto zwischen ihr und der Königsfamilie saß. Sie hätte sonst ständig hinstarren müssen.

Er gab sein Jackett an den jungen Pagen, der es über den Bügel hängte und setzte sich auf die andere Seite des kleinen Tisches. Sie beschäftigte sich eher mit der Überprüfung ihres Outfits. Saß der BH noch? Und das Haar nicht verfranst? Hatte sie ihre Tasche nicht zufällig ausgekippt? Und das Handy? Herrje! Handy ausmachen!

Ein Klirren weckte sie und der Junge stellte ihr erst ein prickelndes Glas Champagner hin, bevor er die Flasche im Eiskühler versenkte. Dazu ein Teller Schnittchen mit Fisch, Kaviar, Käse und Gurke. Seto bekam nur Orangensaft.

„Ich war so frei, dir etwas zur Stärkung zu bestellen“ erklärte er und lächelte über ihren erschrockenen Ausdruck hinweg. Höchstwahrscheinlich spürte er, dass sie sich gerade im Ausnahmezustand befand.

„Danke. Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch“ erwiderte er belustigt und nickte dem Jungen zu. „Thank you. That’s everything.“

„You’re welcome, Mr. Muto. If you need anything more please just call for my colleagues standing on the outside floor for you.”

„I’ll do. Please express your father my thankful regards for this favor.”

„It’s my pleasure to have met you. Please enjoy yourself.”

Der Junge lächelte Tea nochmals an, nickte und zog dann den Vorhang hinter sich zu. Tea schwante, dass Seto wohl seine Beziehungen hatte spielen lassen, um diese Loge zu bekommen. Auch wenn sie nicht neugierig wirken wollte, ließ ihr die Frage nun keine Ruhe mehr. Zumal diese Plätze nicht nur die besten waren, sondern wahrscheinlich auch nicht mit Geld zu bekommen. Einen Platz neben der norwegischen Königsfamilie musste man sich verdienen und nicht erkaufen. Selbst Hollywoodstars saßen einige Balkone weiter.

„Seto, wen hast du bestochen, um diese Loge zu bekommen?“ fragte sie dann endlich heraus.

„Ich habe ganz freundlich gefragt“ antwortete er und nahm das Sektglas, welches mit Orangensaft gefüllt war. „Diese Loge war ursprünglich für den norwegischen Ministerpräsidenten reserviert. Doch da er kurzfristig verhindert war, waren auch seine Plätze frei.“

„Zufällig verhindert?“

„Rein zufällig“ zwinkerte er zweideutig. „Sagen wir, ich habe es mir zunutze gemacht, dass Noah und er gerade sehr angeregt über Investitionen diskutieren. Verhindert war er wirklich und er hätte eigentlich einen Vertreter geschickt, doch da meine Anfrage zum richtigen Zeitpunkt kam, brauchte er nicht lange nach Ersatz suchen.“

„Und wenn er abgelehnt hätte? Wo säßen wir dann?“

„Auch nicht weit weg von hier. Dann hätte ich irgendwen aus seiner Loge rausgekauft.“ Und das sagte er so selbstverständlich wie er es meinte. Er hielt ihr das Glas hin und setzte ein verführerisches Lächeln auf. „Lass uns auf einen wunderbaren Abend anstoßen.“

„Du bist unmöglich.“ Doch an ihm herumzumäkeln, würde überhaupt nichts ändern. Außer dass er wahrscheinlich doch noch schlechte Laune bekam. Also nahm sie den Champagner und ließ die Gläser klirren. Genau in diesem Moment ging das Licht aus und der Dirigent nahm seinen Platz ein. Sah aus als hätte man tatsächlich nur auf ihn gewartet, um den Abend beginnen zu lassen.



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